Online-Chronik der Stadt Mügeln
 
Wolkenbrüche

Ein Unwetter, wie es in unserer Umgebung in dieser Größe lange Jahre nicht aufgetreten ist, richtete in der Nacht zum Sonntag außerordentliche Verwüstungen und Schaden an. Nachdem gerade Mügeln und Umgegend den so lange vermissten Regen erwartet hatten, trat am Sonnabendabend in der ersten Stunde ein von Wolkenbrüchen begleitetes Gewitter aus. Binnen kurzer Zeit glich die Lommatzscher- und Albertstraße einem reißenden Strome, das Wasser richtete hier jedoch verhältnismäßig wenig Schaden an und verlief in kurzer Zeit, allerdings größere Schlammmaßen zurücklassend. Anders war jedoch die Grimmaervostadt bis zum Markt in Mitleidenschaft gezogen worden. – Gegen Mitternacht wurden die hiesigen Feuerwehren durch Herrn Bürgermeister Börngen zwecks Hilfeleistung alarmiert. Ein Teil der Mannschaften sollte versuchen, vom Markt aus zur Stadtmühle vorzudringen, da man nicht unterrichtet war, ob da unten Gefahr für Menschen und Vieh herrschte. Es war dies jedoch unmöglich, da das Wasser in ziemlicher Höhe bis zum Kleeberg´schen Grundstücke stand. Erst nach Verlauf einiger Stunden konnte man bis zur Mühle vordringen und feststellen, dass bis auf größere Materialschäden alles glücklich abgelaufen ist. Allerdings wird der Betrieb einige Wochen unterbrochen werden müssen, da sich hier größere Instandsetzungen nötig machen werden. – Besonders hart betroffen ist auch Herr Schuhmachermeister Teschner. Hier mussten sich die Bewohner in die höheren Stadtwerke flüchten, um nicht zu ertrinken. Dem Genannten ist sämtliches Handwerkszeug, Mobiliar usw. vernichtet. Auch mussten die Türen erst freigemacht werden von angehäuften Schlammmaßen, damit die Leute wenigstens ihr Haus verlassen konnten. In der Grimmaerstraße gingen die Fluten bis zur Marktecke, hierbei natürlich auch alle Keller füllend und die Parterrelokalitäten völlig verschlammend. An und in der Gasse beim Merzdorfschen Hause waren Verstopfungen eingetreten, indem das Wasser große Stämme und sonstige kleinere Hölzer vom Schuhmann´schen Holzplatze mitgebracht hatte. Diese stauten sich hier an und glichen haushohen Barrikaden. Einen Begriff von der Menge kann man sich machen, wenn man bedenkt, dass seitens genannter Firma von 12 – 15 große Wagen voll Holz weggefahren worden sind. Ganz arg betroffen sind auch die Häuser von Kohl, Sorge usw. Namentlich die Lage im Kohlschen Hause spottete jeder Beschreibung. Nicht nur, dass dem ohnehin nicht mit Glücksgütern gesegneten Besitzer sein Mobiliar und Werkzeug, darunter eine Motoren- und Maschinenanlage, vernichtet und unbrauchbar gemacht worden sind, so ist demselben großer Schaden zugezogen worden, dass die alten Fachwände des Hauses dem Aufprall der Fluten nicht habe widerstehen können und zum teil weggeschwemmt sind; hier stand das Wasser ½ m hoch in den Zimmern. Das Wasser brach vom Garten her in sein Haus, die verschlossenen Türen durchbrechend, und setzte das Parterre unter Wasser, sodass der Arbeiter Julich, der im Parterre schlief, mit seinem Bette bis zur Decke gehoben wurde und sich nur mit Mühe über die vom Wasser ausgehobene Zimmertür in das Obergeschoss retten konnte. In der Werkstätte Kohls ist alles zertrümmert. Kohl schätzt seinen Schaden auf 3000 bis 4000 Mark. Der Schutzmann Klingner mußte, bis zum Halse im Wasser watend, seine ganze Habe im Stich lassen. Der Schutzmann Einbock wurde beim Patrouillengang vom Wasser überrascht und von einem herankommenden Balken gegen ein Haus gedrängt. Nur seine Gewandtheit rettete ihn. Im Hause des Mühlenbesitzers Otto (Altmügeln) in der Grimmaischen Straße wurde der Familie Hausse ebenfalls bedeutender Schaden zugefügt, und nur mit Mühe gelang es den Herren Winkler und Striegler, den 7jährigen Kurt Hausse, der im Parterre schlief zu retten. Auch hier stand das Wasser 1 ½ m hoch. Schweren Schaden erlitt noch der Besitzer der Johannismühle Herm. Möller, dem viel Getreide und Mehl verdorben und teils weggeschwemmt wurde. Alle Fälle gleichfalls schwer geschädigter Besitzer zu registrieren, würde uns zu weit führen. Hier ist es entschieden am Platze, wenn die Unterstützung seitens unserer vom Wetter weniger betroffenen Bevölkerung eintritt, und christliche Nächstenliebe diese Armen wenigstens von dem größten Elend schützt. Inzwischen ist uns auch ein dahingehender Aufruf zugegangen, welcher an der Spitze unseres Blattes veröffentlicht wird. – Über den Erfolg der Sammlung selbst werden wir in den folgenden Nummern des Mügelner Anzeigers referieren. Die Straße nach Paschkowitz ist zum Teil sehr mitgenommen und weggeschwemmt worden. Hier, sowie überhaupt im Großen und Ganzen werden unserer Stadtverwaltung bedeutende Ausgaben zur Wiederinstandsetzung der Straßen und Wege entstehen. – Die Mauer am neuen Kirchhofe ist zirka 15 – 20 Meter umgerissen worden. Auf den Feldern ist strichweise nicht nur die ganze Saat vernichtet, sondern auch der gute Ackerboden mit fortgeschwemmt worden. Sodass hier Jahre vergehen, ehe dies wieder ausgeglichen werden kann. Seltsamer Weise sieht man dicht neben diesen verwüsteten Fluren auch solche mit schönstem Getreide oder Kartoffeln stehen. – Auch der Bahnverkehr war unterbrochen, da die Strecke der Linien Mügeln-Wermsdorf und Mügeln-Döbeln auf große Strecken unterspült waren, und die Gleise namentlich zwischen Nebitzschen bis Gröppendorf, sowie auch bei der Lüttnitzer Ziegelei zum großen Teil frei in der Luft hingen und die Schienen nur durch ihre Verschraubungen und die Schwellen zusammengehalten wurden. Selbstverständlich wurden auch hier sofort die Arbeiten zur Instandsetzung der Strecken unverzüglich aufgenommen. Ausfallen musste der 8.08 Uhr von Wermsdorf in Mügeln eintreffende Personenzug, desgleichen der Zug, welcher 8.20 Uhr von Mügeln nach Wermsdorf geht. Auf der Döbelner Strecke war es der Vormittagszug von Döbeln nach Mügeln und umgekehrt.


Mügelner Anzeiger, 22. Mai1906