Online-Chronik der Stadt Mügeln
 

Wochenblatt für die Stadt Mügeln und Umgebung

Ein freundlicher Mitbürger hat der Redaktion leihweise einige alte Mügelner Zeitungen zur Verfügung gestellt und es war nicht nur interessant darin zu blättern, sondern es fanden sich auch Artikel mit Bezug auf die heutige Zeit, die es wert sind, dass sie noch einmal veröffentlicht werden.

In der Ausgabe vom 23. Februar 1905 wird folgendes berichtet:
„ Aufsehen erregte eine am Donnerstagnachmittag in Leisnig erwandernde Schar von 33 galizischen Arbeitern. Die völlig erschöpften und fast mittellosen Leute verlangten auf dem Polizeiamt freie Unterkunft für eine Nacht und Abendkost, was ihnen denn auch auf Kosten der Stadt in der Herberge zur Heimat gewährt wurde. Wie die Leute angaben, sind sie durch fremde Vermittlung von Myslowitz nach Halle a. d. Saale gekommen, ohne dort die erhoffte Arbeit zu finden. Von Halle abgeschoben, kamen sie nach Leipzig, wo sie Arbeit bei den Bahnbauten zu erhalten glaubten, aber auch hier wurde ihnen, als zu frühzeitig eingetroffen, der Laufpass gegeben. Am Donnerstag sind sie nun von Leipzig über Grimma zu Fuß wandernd bis Leisnig gekommen. Die arbeitslosen Ausländer wurden am nächsten Morgen von Leisnig nach Fischendorf abgeschoben. Ein Ziel haben sie nicht.“

Weder Kapitalisten noch Kommunisten haben es vermocht, menschenwürdige Lebensbedingungen für alle zu schaffen und damit das Problem Asylanten für immer zu lösen. Es sind doch zumeist wirtschaftliche Gründe, die die Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen, auch wenn oft von politisch Verfolgten die Rede ist. In den Heimatländern der Asylanten muss sich etwas verändern, sonst bleiben uns diese Probleme wohl auch noch im nächsten Jahrhundert erhalten.

Noch weiter zurück, am 22. März 1847, fand ich folgenden Artikel, der mir ohne wesentliche Einschränkung auf die heutige Zeit zu passen scheint, wenn man nur das Wort Almosen gegen das Wort Arbeitslosenunterstützung austauscht.

Arbeit ist besser denn Almosen

Armut heißt die große Krankheit unserer Zeit, die epidemisch in den bürgerlichen Gesellschaften fast aller zivilisierten Staaten grassiert, und die die Wohlfahrt der Völker bis in ihre Grundvesten zu vernichten droht. Die Ursachen, durch welche diese mit einer furchtbaren Verheerung um sich greifende Krankheit nach und nach einen so bedrohenden Charakter angenommen hat, sind schon vielfach erörtert worden, wir setzen sie wohl mit Recht als bekannt voraus. Die Regierungen aller Länder haben es sich seit Jahren zu einer Preisaufgabe gestellt, die geeignetsten Heilungsmittel zu entdecken. Aber noch immer fehlt es an dem rechten Arzte, und die Krankheit nimmt noch fortwährend überhand.

Als das nächste Mittel, die Armut, wenn auch nur momentan, zu beseitigen, gelten die Almosen. Wie unzureichend indes diese Methode ist, ergibt sich schon daraus, dass sie eben nur eine momentane aber keine nachhaltige Hilfe gewährt. Ist das Almosen aufgezehrt, so befindet sich der Arme in dem früheren Zustande. Nicht nur, dass Almosen sonach ein ungenügendes Mittel sind, der Armut entgegen zu steuern, sondern man hat sich auch in jüngster Zeit immer mehr davon überzeugt, dass es in den meisten Fällen ein geradezu unmoralisches, und deshalb verwerfliches ist. Almosen stumpft das einem jedem Menschen inne wohnende, edle Gefühl der Selbstständigkeit ab, und setzt ihn in ein seiner unwürdiges Abhängigkeitsverhältnis, so lange er nämlich die physische Kraft der Selbsterhaltung in sich fühlt. Es kann natürlich hier nicht von Siechen, Krüppeln und durch Alter gebrechlichen und schwachen Personen die Rede sein, obgleich ein großer Staatsökonom behauptet, jeder Mensch ohne Ausnahme könne noch irgendeine Arbeit verrichten.

Arbeit aber, das glauben wir fest und sicher, heißt das Radikalmittel, womit die moderne Krankheit Armut genannt, allein sicher geheilt und ausgerottet werden kann. Man muss den Menschen, die durch äußere Umstände behindert sind, sich selbstständig einen Erwerb zu sichern, die Gelegenheit geben, sich der Gesellschaft nützlich zu machen. Dem Arbeiter, der an der Beschäftigung Mangel leidet, gebe man Arbeit, dem Handwerker, dem es an Mitteln fehlt, sein Geschäft zu betreiben, unterstütze man, ehe er in Armut versinkt.
Wie aber schon vor mehr denn hundert Jahren unsere Vorfahren eingesehen haben, dass Arbeit besser sei denn Almosen, ersehen wir aus der Armen- und Bettlerordnung vom 19. Sep. 1708 worin es heißt.

Die Sorge für die Armen wird den Gemeinden zur Pflicht gemacht, unter dieser Fürsorge aber namentlich auch verstanden, dass den arbeitsfähigen Armen Arbeit verschafft werde. Wenn eine Obrigkeit es hieran fehlen lässt, so soll sie, so oft wie Einer, der aus diesm Grunde zum Betteln veranlasst wurde, betroffen wird, außer den Kosten der Verhaftung und Ablieferung eine Geldstrafe von 10 Thlr. erlegen.

Dem ist sicher nichts hinzuzufügen!
Ch. Dober