Vor 110 Jahren
? Weihnachten in Mügeln
Aus Erinnerungen von Paul Zettwitz aus der Zeit um 1880
Wie feierten wir unser Weihnachten in der lieben Heimat, im Vaterhause?
Nun, sehr bescheiden, aber doch fröhlichen Herzens.
Schon die Adventszeit brachte manch freudige Überraschung.
In unserem Vaterhause wurde 14 Tage vor Weihnachten das fett gefütterte
Schwein geschlachtet; die Hausschlächter von Goseln Rostig
und Wolfs und Kießling von Altmügeln hatten Hochbetrieb.
Wir Kinder gingen an diesem Tage wohl in die Schule, aber nach
der ersten Stunde baten wir den Lehrer inständigst um Urlaub,
der auch zumeist bewilligt wurde.
Hier und da tauchte in den Familien ein Ruprecht auf, der sich
furchterregend ausnahm, sich aber immer hinter einem guten Hausgeiste,
vielleicht gar dem eigenen Vater versteckte. Beten musste man allerdings
können, sonst gab es mit der Rute einige tüchtige Klapse.
Zu uns kam immer die alte Klingnern. Manchmal wurden die Kinder
auch misstrauisch, wenn sich der Ruprecht zu sehr gehen ließ,
oder sicher der angeklebte Bart verschob. Dann verschwand der Ruprecht
bald, um nichts von seiner Würde einzubüßen.
Die Geschäfte, namentlich die Spielwarengeschäfte, stellten
ihre Waren aus, die wir staunend bewunderten. Abends waren die
Schaufenster hell erleuchtet, was sonst nicht der Fall war. Bei
Schleifer Müller, bei Leonhards (früher Jäckel),
konnten wir herrliche Sachen sehen. Aber am schönsten waren
doch die Christmännel beim Seifensieder Piltz mit ihrem Huckepack
und großem Bart. Elektrisches Licht gab es damals noch nicht
und die Petroleumlampe verbreitete einen gemütlichen Schein.
Die Patitzsche, später Webersche Gasanstalt lieferte aber
auch schon das Licht für viele Häuser.
Bei den Kaufleuten, die wir damals die Kolonialwarenhändler
nannten, herrschte Hochbetrieb. Bei unserem Nachbar, Ernst Oehmischen,
wohl einer der besten Geschäfte damals am Platze, war Marie
Finck viele Jahre als Aushilfe tätig. Dort kaufte die Mutter
die Backwürze und erhielt als treue Kundin einige Tafeln Schokolade
als angenehme Zugabe.
Die Bäckermeister Striegler, Hanisch, Hanns, Nürnberger,
Springsguth und Mannewitz trohnten am Backofen und dirigierten
die Stollen, dass sie auch ja recht schön durchgebacken würden.
Die Lehrjungen flitzten und hatten nicht so viel Zeit wie sonst
zum Schlafen.
Die Mütter bestrichen mit guter Butter stolz ihre Backerzeugnisse
und sie sahen genau nach, dass die Stollenhölzchen ihre Namen
trugen. Wenn dann der Duft der frischgebackenen Stollen das Haus
durchzog, da war die Freude groß. Sie durften aber nach altem
Brauche vor dem 1. Feiertage nicht angeschnitten werden! Einige
Kartoffel- und Streuselkuchen wurden gewöhnlich den Vorfreuden
des Festes gewidmet.
War nun der Mutter diese wichtigste Festarbeit gelungen, dann
ging es an ein gründliches Reinemachen im Hause. Hell erglänzten
die geputzten Fenster, blütenweiß leuchteten die frischen
Gardinen und die gescheuerten Dielen wurden mit weißem Sand
bestreut. Linoleumbelag gab es damals noch nicht und gestrichenen
Fußboden gab es noch nicht in allen Häusern. Der Vater,
der mit seinem Geschäft zu tun hatte, konnte sich um die häuslichen
Arbeiten nicht bekümmern.
Abends dann, beim gemütlichen Lampenschein, wurden Weihnachtsarbeiten
vorgenommen und die Tagesereignisse gestreift. Wir Kinder mussten
zeitig ins Bett und folgten auch, wohl aber nur in der Erwartung
des Festes. „Dir bringt sonst der heilige Christ nichts“,
war die stehende Redensart. In der Schule sangen wir mit rechter
Inbrunst die alten, schönen Weihnachtslieder. Dir Kurrende
unter Kantor Weller übte fleißig; die Proben für
die Weihnachtsmotette begannen. Die Landbewohner bevölkerten öfter
als sonst die Stadt und lag, was nicht immer der Fall war, Schnee,
dann tummelten wir uns umso freudiger beim Schindern auf dem Schulplatz.
Bald kam auch der Wald in die Stadt. Fischers von Schlatitz hielten
zum Buttermarkte Christbäume feil. Das „O Tannenbaum“ sangen
wir, obwohl wir nur die Fichte als Tannenbaum kannten. Bei verschiedenen
Einwohnern konnten wir anstatt des Christbaumes Pyramiden sehen,
die neu vorgerichtet wurden und sich zum Feste herrlich im Lichterglanze
drehten.
So war dann endlich der „Heilige Abend“ herangekommen.
Die Kurrendaner zogen hinaus in die sieben Oberdörfer und
sangen nach uraltem Brauch ihre Weihnachtslieder. Kamen sie dann
abends in die Stadt zurück, hatten sie ihre Laternen angesteckt.
Dies war die Einleitung des Festes wie sie schöner und feierlicher
nicht sein konnte. Mein ältester Bruder hat diesen Umgang
auch mitgemacht, nur war für ihn kein passender Hut da, er
hatte Hutweite 58. Da war er allemal heilsfroh, wenn er wieder
daheim war.
In manchen Häusern brannte schon am Heiligabend der Lichterbaum.
In den meisten Familien aber, besonders bei den kleinen Geschäftsleuten,
wurde erst am 1. Feiertag früh beschert. Das Ergebnis des
Weihnachtsgeschäftes war bei uns immer der Maßstab für
die unter dem Lichterbaum liegenden Geschenke. Mit frohen Erwartungen
gingen wir Kinder in das Bett.
Brach der 1. Feiertag an, dann stieg der alte Grellmann mit seinem
Gehilfen, Laute-Kirsten, auf den Kirchturm, um das Fest feierlich
einzuläuten. Die Glocken erklangen an diesem Tage ganz anders,
so ehern, so zu Herzen gehend. Bald rief dann die Mutter: „Steht
auf, der Heilige Christ ist da gewesen“! Wir stürmten
in die Stube, die im herrlichen Lichterglanze strahlte, so dass
wir von so vieler Pracht ganz benommen waren. Ein Jedes sagte sein
Gebet, ein Weihnachtslied erklang und dann wurden wir an unsere
Plätze geführt. Jubel und Freude herrschten über
die schönen Gaben, die zu Hälfte aus nützlichen
Gegenständen bestanden. Sie waren bescheiden, lösten
aber ein Entzücken aus, wie es nur in einem Kinderherzen entstehen
kann. Der Baum war mit Pfefferkuchen von Dietzes reich behangen, Äpfel
und Nüsse mit Silber und Goldpapier geschmückt und die
Lichter lieferte der Wachsstock. Unseren Baumständer umgab
ein eingefriedetes Gärtchen, in dem kleine aus Holz geschnitzte
Pferde, Kühe, Bäumchen usw. aufgestellt waren.
Ort und Zeit wurde vergessen, bis endlich der fröhliche Stollenschmaus
seinen Anfang nahm.
Schon guckte der helle Tag zum Fenster herein und die Glocken
riefen das erste Mal zum Gottesdienst. Von allen Seiten strömten
die Andächtigen herbei, um die ewig frohe Weihnachtsbotschaft
zu hören. Auf dem Chore der Kirche war die Kantorei vollzählig
versammelt. Kaufmann Oehmichen, Töpfermeister Weber, die Herren
vom hohen „C“, die Lehrerschaft, die Kurrende. Musikdirektor
Bellmann saß mit seinen Leuten an der rechten Seite anschließend.
Organist Weßner ließ die Orgel mit vollen Akkorden
ertönen. Kantor Weller erhob den Taktstock, die Weihnachtsmotette
erklang. Pfarrer Kretzschmar verkündete uns Gottes Wort in
ergreifender Weise. Sichtlich gehobener Stimmung verließ die
Gemeinde unsere schöne Johanniskirche.
Zu Hause hatte die Mutter schon mit dem Feiertagsbraten zu tun,
der bei uns aus Rückgratsbraten vom geschlachteten Schweine
bestand. Der Mutter ihr Kirchgang war erst am 2. Feiertag. Damals
saßen die Frauen im Schiff der Kirche, während die Männer
auf den Emporen oder unter dem Chore Platz nahmen.
War nun Eisbahn, so wurden die Schlittschuhe, die vielleicht der
heilige Christ gebracht hatte, auf dem Schwetaer, Oetzscher oder
Schlagwitzer Teiche eingeweiht. Auch unsere Döllnitz haben
wir befahren und manchmal lieferten überschwemmte Wiesen willkommene
Eisbahnen. Damals kamen die stählernen Schlittschuhe auf,
diese waren aber sehr teuer. Schlittschuhe mit Lederriemen oder
Knebel waren vorherrschend. Auch die Käsehitschen wurden hervorgeholt,
mit denen wurde die Hänge herabgefahren. Ehrlich müde,
aber mit roten Backen und tüchtigem Hunger kehrten wir dann
abends heim. Bald waren die Feiertage vorüber, der Alltag
trat in seine Rechte und die zwölf Nächte mit ihrem Aberglauben
beherrschten das Feld.
So ist mir das Weihnachtsfest im Vaterhause in Mügeln immer
eine liebe Erinnerung geblieben. Wehmütig denke ich daran
zurück…
Aus Erinnerungen des Mügelners Otto Leidel aus der Zeit um
1880
Weihnachts-Heiligabend! Die letzten Vorbereitungen zum Feste werden
getroffen. Als alter Mügelner wieder einmal in meine Heimatstadt
gekommen, wandere ich beim Dunkel werden durch die alten Straßen
des Heimatstädtchens. Welche Fülle von Erinnerungen!
Jedes Haus hat für mich seine besondere Geschichte. Kannte
man doch früher jeden seiner Bewohner. – Hell erleuchtete
moderne Schaufenster und Läden. In verschwenderischer Fülle
locken allerlei Waren, zum Teil in prächtiger Ausstattung.
Welcher Unterschied zu früher! Vor fünfzig Jahren gab
es nur in ganz wenigen Geschäften elektrisches Licht. Vom
Balkon des Rathauses schaut der „Weihnachtsbaum für
alle“ mit seinen strahlenden Kerzen herab.
Doch alle Pracht und Herrlichkeit hat für mich und viele
andere nicht das Anheimelnde und Anziehende, atmet nicht die trauliche
Liebe, die wir als Kinder empfanden, wenn wir bei Püppchen-Mehnert
am Altmarkt vor dem kleinen Schaufenster standen und die hölzernen
Soldaten, Püppchen, Schafe, Pferde, Kühe, Bäume
usw. betrachteten. Sie wurden meist in Holzschachteln verkauft.
Kleine Peitschen, Blechtrompeten, hölzerne Kanonen, Lokomotiven
und Flinten erregten unsere Aufmerksamkeit. Schräg gegenüber
an der Schlossgassen-Ecke gab es beim alten Jäckel ähnliches
Spielzeug. Wie habe ich mich da einmal gefreut, als ich als „guter
Kunde“ zu Weihnachten von ihm eine Schachtel in Form einer
Schnupftabakdose erhielt. Bei einem kleinen Druck auf den Deckel
sprang ein kleiner Kikerikihahn heraus. Wie konnte man sich nur über
solche Kleinigkeiten so freuen? Wenn ich dies nicht als Kind selbst
empfunden hätte, würde ich es kaum für möglich
halten.
Bei den Buchbindern Findeisen und Kunde gab es Hampelmänner,
Bilderbogen, Stammbuchblumen, Abziehbilder und ähnliches zu
bestaunen. Bei Kundes war zu Weihnachten aus einem Modellierbogen
ein Kasperletheater mit den dazugehörigen Figuren hergestellt
worden und stand im Schaufenster. „Das möchte ich auch
haben!“ hörte man da manches Kind sagen. Unvergesslich
ist allen alten Mügelnern, mit denen ich darüber gesprochen
habe, das kleine Fenster vom Seifensieder Otto Piltz geblieben.
Was gab es da alles zu sehen? Was war es, das die jugendlichen
Herzen höher schlagen ließ und sich fürs ganze
Leben dem kindlichen Gemüt einprägte? Nun, es war ein
Weihnachtsmann mit einem kleinen Christbaum. An dem einige winzige
Lichter brannten. Außerdem standen noch kleine Seifen-Weihnachtsmänner
da. Das war für die Mügelner Kinder der siebziger und
achtziger Jahre die große Sehenswürdigkeit und ist ihnen
bis zum heutigen Tage in lieber Erinnerung geblieben. Wie bescheiden
war man doch damals und freute sich über das Wenige wohl mehr,
als die Kinder unserer Tage über das Viele.
In den Läden der Seifensieder standen eine Anzahl Wachsstockpyramiden
und Wachsstockrollen. Letztere waren doch ähnlich zusammengedreht
wie heutzutage mitunter die Gummischläuche. Der innen mit
einem Docht versehene Wachsstock hatte die Stärke schwacher
Lichter. Zu Weihnachten wurden da einige Ellen gekauft, zur Größe
von Kerzen zerschnitten, an einem Ende so angewärmt, dass
das Wachs weich wurde und dann ohne Tüllen am Christbaum befestigt.
Pfefferkuchenmänner verschiedener Größe standen
in den Schaufenstern der Konditoreien von Dietze und Zappe und
wurden von uns Kindern mit begehrlichen Blicken betrachtet. Schokoladengeschäfte
gab es früher in Mügeln nicht. Bei Zappes bin ich oft
gewesen und sehe heute noch Christiani Reinhold, wie er dort um
die Weihnachtszeit als Gehilfe tüchtig zugreifen musste.
Eine Anzahl freiwilliger Hilfskräfte waren bei dem starken
Betriebe mit tätig. Eine besonders interessante Beschäftigung
war das Begießen der Pfefferkuchen mit Zuckermasse. Das geschah
mit Hilfe von Tüten, die an der Spitze eine kleine Öffnung
hatten. Durch diese drang die flüssige Zuckermasse heraus
und man schrieb „August“, „Pauline“, „Louis“ oder „Minna“,
oft auch „Fröhliche Weihnachten“ auf das Gebäck.
Den Rand schmückte man noch mit einer wellenartigen Verzierung.
Für die gebrauchten Tüten, die mit Zucker vollständig
durchdrungen und damit überzogen waren, hatte die Mügelner
Schuljugend besonderes Interesse. Viele meiner Jugendgenossen werden
sich noch erinnern, dass sie bei Zappes für einen oder zwei
Pfennige so genannte „Zuckerklumpen“ gekauft haben.
Meiner Erinnerung nach, haben diese ganz gut geschmeckt. Verwöhnt
waren wir nicht und was störte es uns, wenn wir dabei den
Mund voll Papier hatten! Pfennig und Dreierstückchen aus Pfefferkuchen
wurden wohl allgemein an den Christbaum gehangen. Nur wenige hatten
soviel Geld, dass Zucker- oder Schokoladenzeug gekauft werden konnte.
Es ist wohl kein Geheimnis mehr, dass früher viele sich den
Christbaum selbst im Walde holten. Wer ihn kaufte, bekam einen
Frischgeschlagenen Baum, nicht wie hier in der Großstadt
(Leipzig), wo schon am ersten Feiertag die Nadeln fallen, weil
die Bäume oft schon viele Wochen vorher abgehauen werden.
Und vom Tannenduft im Zimmer ist fast nichts zu spüren.
Wie duftete dagegen der Weihnachtsbaum der Jugendzeit. Es roch
angenehm nach Wachs, wenn die Lichter brannten. Ein würziger
Geruch erfüllte das Zimmer, wenn sie hier und da einen Zweig
ansengten. Wenn dann die roten Äpfel, vergoldeten Nüsse
und Pfefferkuchen an dünnen Fäden bei jeder Berührung
des Baumes sich bewegten und drehten, herrschte die richtige Weihnachtsstimmung
in der warmen Stube. Steif und tot erscheint mir dagegen der elektrisch
beleuchtete Baum.
War nun der Weihnachtsbaum vor der Kinderschar „enthüllt“ worden,
so dauerte es meist nicht lange und es fanden sich mitleidige Seelen,
die ihm seine Last erträglicher machen wollten. Unten fingen
sie gewöhnlich heimlich an. Ein Pfennigstückchen nach
dem anderen verschwand. Nüsse und Äpfel wurden weniger.
Nur an der Krone hingen noch einige wenige Stückchen. Leere
Fäden sah man überall, aber niemand hatte etwas herunter
genommen und gegessen! Die Mutter schimpfte: „Da brauch man
doch gar nicht erst hinauf zu hängen, wenn ihr es gleich wieder
abessen wollt!“ Im Stillen freute sie sich aber doch, wenn
es ihren Kindern schmeckte.
In einer mir bekannten Familie hatte einmal der Vater die Pfennigstückchen
vorher gegessen. Man musste am Heiligabend erst wieder neue holen.
Ein besonderes Genie war ein Junge, der am Christbaum fast sämtliche
Nüsse ihres Inhaltes beraubt hatte, die Schalen mit dem Golde
aber wieder kunstvoll zusammenfügte und aufhängte. Allgemeines
Erstaunen über die Leere der Nüsse!
Wenn früher ein Knabe eine Schachtel Bleisoldaten, einige
Pferdchen, Schäfchen oder Kühe aus Holz erhielt, so war
bei ihm die Freude groß. Verschiedene der Holztiere hatten
allerdings nach kurzer Zeit ein oder zwei Beine verloren oder gebrochen.
Eine hölzerne Lokomotive, zu der er feste pusten, pfeifen
und sch-sch-sch machen musste, war schon etwas Besonderes. Die
Mädchen erhielten meist eine Puppe in bescheidener Größe.
Freilich, die Zeiten sind anders geworden, mussten anders werden.
Was sollte auch aus unserer Spielwarenindustrie werden, wenn man
die alten Zeiten zum Muster nehmen wollte. Was würden unsere
Kinder sagen, wenn man sie wie einst zum Christfeste, einen Pflaumentoffel
aus Backpflaumen bescheren wollte? Oder nur eine tönerne Sparbüchse
von Töpfer Weber auf den Weihnachtstisch legte?!
Schlecht bestellt war es um diejenigen Personen, zu denen der
so genannte Crellenhainsche Ruprecht oder Weihnachtsmann kam. Der
brachte sehr wenig, meist gar nichts, da er selbst sehr arm war.
Ich weiß nicht, ob er noch existiert. Es hieß einmal,
er hätte sich erschossen, da er das elend nicht mehr mit ansehen
konnte. Das wird aber wohl nicht wahr sein, denn es soll auch jetzt
wieder eine ganze Anzahl Personen in der Mügelner Gegend gegeben
haben, die vom Weihnachtsmann nichts erhielten.
Die Mügelner Kaufleute, dass heißt, die Kolonialwarenhändler,
verehrten ihrer Kundschaft als Weihnachtsgeschenk ein Stück
Stollen. Da wurde stark darauf gerechnet und immer wieder hingegangen
und etwas geholt wenn einer zögerte, man glaubte, einen Anspruch
auf dieses Geschenk zu haben.
Gern hätte ich nach langen Jahren wieder einmal die Kurrendaner
gesehen und gehört, die Weihnachtslieder singend auch heute
noch am Heiligabend mit ihren bunten Laternen durchs Städtchen
ziehen. Leider konnte ich ihren Umzug nicht mehr abwarten.
Als ich mit dem letzten Zuge der gemütlichen Kleinbahn nach
Oschatz fuhr, ließ ich den Tag meiner Heimatfahrt noch einmal
an mir vorüber ziehen. Durch verschneite Dörfer war ich
gewandert, als die Sonne wie ein feuriger Ball am Horizonte empor
kam und die lang gestreckten Wolken in glühendes Rot tauchte,
stand ich am Rande des heimatlichen Waldes. Märchenhaft war
es im verschneiten Forst. Ich war allein im verzauberten Walde – wirkliche
Weihnachtsstimmung.
Mit dem Bewusstsein, einen herrlichen Wintertag in der ländlichen
Heimat verlebt zu haben, kehrte ich in das Getümmel der Großstadt
zurück.
Otto Leidel schrieb diesen Aufsatz 1929. Was würde er wohl
heute zu unserem Weihnachtsfest und zu unserem Mügeln sagen?
Günter Thiele
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