110 Jahre Volksschule in Mügeln
von Günther Thiele
Das Gebäude der heutigen Goetheschule in Mügeln wird
110 Jahre alt.
Als am 26. Oktober 1886 die feierliche Einweihung erfolgte, herrschte
in „vielen“ Kreisen der Mügelner Bürgerschaft
eitel Stolz und große Freude, gab es doch auch Stimmen, dass
dieser Bau für das kleine Mügeln viel zu groß und
protzig sei. Die nach der feierlichen Einweihung durchgeführten
Besuche und Besichtigungen sächsischer Lehrerschaften und
Vorgesetzten der Schulbehörde, bescheinigten den Mügelnern
aber Mut und Weitsicht. Der Schulbau wurde allgemein als modern
und als Vorbild für andere Städte bezeichnet.
Natürlich war diese Schule für das Mügeln von 1886
ein riesiges Gebäude. Wie sag es denn in Mügeln im Jahre
1886 aus?
Am Markt und an der Hauptstraße standen noch viele ebenerdige
Gebäude, wie wir es noch heute in der Ernst-Thälmann-Straße
43 sehen. Die heutige Goethestraße, Rudolf-Breitscheid-Straße,
Clara-Zetkin-Straße mit ihren Bebauungen gab es noch nicht,
da waren noch Wiesen und Gärten. Die Molkereistraße
und die Fabriken entstanden erst einige Jahre später. Die
heutige Gartenstraße war nur ein schmaler Weg und oberhalb
des Hack war die „Stadt“ zu Ende. Die Döbelner
Straße hieß Schlagwitzer Weg und war noch nicht bebaut.
Hinter ihrer Einmündung in die Hauptstraße war die Stadt
ebenso zu Ende, wie hinter dem Altmügelner Bahnhof, denn dort
begann ja Altmügeln, nur das bis zur Altmügelner Schmiede
keine Häuser standen. Der Verkehr von Altmügeln nach
Crellenhain führte durch den Viehgraben, denn der Straßenberg
nach Crellenhain wurde auch erst um die Jahrhundertwende angelegt
und ab 1928 bebaut. Von der Einmündung Friedhofstraße
stadtauswärts standen links und rechts je eine Wirtschaft.
Auf der linken Seite führte ein kleiner Weg zu einem Prachtstück
von „Klitzsche“, worüber man schon in damaliger
Zeit seine Witze riss. Hinter der Einbiegung zum heutigen Kreispflegeheim
war dann auch schon das Städtchen zu Ende.
In dieses kleine Anwesen solch eine große Schule zu bauen,
dazu gehörte tatsächlich viel Mut und Tatkraft, denn
dieses Gebäude war ja auch nicht billig.
Am 26. Oktober 1886, früh 10.00 Uhr, setzte sich an der alten
Schule hinter der Mügelner Stadtkirche der Festzug zur neuen
Schule in Bewegung. An der Spitze die Ehrengäste, der Amtshauptmann
von Schroeter, der Amtsrichter, Bezirksschulinspektor, Postmeister,
Superintendent, Baurat Dr. Modes, Architekt Bachmann, die Mitglieder
des Kirchen- und Schulvorstandes, sowie alle Beamten des Stadtgemeinderates
die mit marschieren mussten, sowie viele schaulustige Bürger
von Mügeln und Umgebung. Und nicht zuletzt die Hauptakteure,
die Kinder das Lehrerkollegium.
Am Anfang hatte man das Lied „Zuerst aus warmen Herzen den
frommen Scheidegruß“ gesungen und Schuldirektor Kaden
hatte, anscheinend in einer humorigen Ansprache, Abschied von dem
jahrhundertealten Gemäuer genommen. Dann ging der Festumzug
unter Gesang und Posaunenmusik über Kirchplatz, Marktplatz
und Hauptstraße zur neuen Schule. Vor dieser wurde wiederum
Aufstellung genommen.
Einigen Ansprachen verschiedener Honoratioren erfolgte die Übergabe
des Schlüssels. Der Mügelner Baumeister Georgi übergab
den Schlüssel an den Vorsitzenden des Schulvorstandes Pastor
Kretzschmar. Dieser glänzte durch eine besonders lange Ansprache,
bevor er dann die Schule aufschloss. Darauf wurden die Kinder in
ihre Schulräume geführt. Anschließend erfolgte
der eigentliche Weiheakt in der Aula der Schule. Dieser soll auf
Kinder und Erwachsene einen großen Eindruck gemacht haben.
Danach begab man sich in den Ratskellersaal im Rathaus, wo ein
Diner stattfand. Am 27. Oktober 1886, nachmittags, waren dann die
Kinder geladen. Im Priemerschen Ratskeller (in den nun schon „ehemaligen“ Räumen
der Sparkasse) und im Ratskellersaal, welcher fast das ganze Obergeschoss
des damaligen Rathauses einnahm, wurden die Schulkinder mit Kaffee
und Kuchen bewirtet.
Dieser Schulneubau war vor allem dem Wirken des damaligen Bürgermeisters
Börngen, des Vorsitzenden des Schulvorstandes Pastor Kretzschmar,
des Bezirksschulinspektors Dr. Winkler und der Fürsprache
und tatkräftigen Unterstützung des Amtshauptmannes von
Schroeter zu verdanken.
Mit der Einweihung der Allgemeinen Volksschule wurden die Knabenschule
hinter der Kirche, die Mädchenschule am Schulplatz und die
Armenschule in der Pforte geschlossen. Alle diese Kinder besuchten
nun die neue Schule. Einzig die Privatschulanstalt des Direktors
Hacker bestand weiterhin. Diese Schule war am 27. April 1847 gegründet
worden. In diese Schule gingen die Kinder „reicher“ Eltern.
Begüterte Eltern in der Stadt und Gutsbesitzer der Umgebung
Mügelns schichten ihre Kinder in dieses „Institut“.
Diesem Institut war es möglich, „Zöglingen“ Übernachtung
und Kost zu gewähren, so dass die Kinder entfernt liegender
Gutsbesitzer hier wohnen konnten und nur an den Wochenenden von
ihren Eltern nach Hause geholt wurden. Diese Schule befand sich
in dem Grundstück des heutigen „Wiener Cafés“ in
der Dr.-Friedrich-Straße.
Nach einer weiteren Verordnung zum Sächsischen Volksschulgesetz
musste diese Schule 1892 geschlossen werden. Ab Ostern 1892 gingen
dann alle Mügelner Kinder in eine Allgemeine Volksschule.
Der Direktor der Privatschule, Hacker, löste dann den ersten
Schuldirektor der Volksschule, Lehrer Kaden, ab. Direktor Kaden
war vorher 1. Mädchenschullehrer an der Mügelner Mädchenschule
gewesen.
Im Jahre 1888 erfolgte im heutigen Stadtteil Altmügeln dann
ein weiterer Neubau einer Schule.
Zur Geschichte der Schulen in Mügeln
Und nun etwas über die Geschichte der Schulen in Mügeln.
Die erste urkundliche Erwähnung einer Schule in Mügeln
stammt aus Altmügeln. Im Jahre 1586 wird da eine „Schreiberei“ erwähnt.
Diese befand sich in dem Grundstück, in dem heute der Kindergarten
untergebracht ist.
Die erste Erwähnung für Mügeln findet sich im Jahre
1588. In diesem Jahre „confirmirte“ Johann von Haugwitz, „am
Tage Michaelis die Begründung der Mägdlein-Schule“ in
Mügeln und „dotirte dieselbe mit 5 fl. Jährlich
aus dem Amte Mügeln“. Diese Mägdlein-Schule wird
unter dem Jahre 1615 noch einmal von Pastor Fiedler in seiner Chronik
erwähnt. Die Einrichtung einer Mädchenschule in dem kleinen
Mügeln zu so einem frühen Zeitpunkt ist nur dem Wirken
des Johann von Haugwitz zu verdanken. Er war der letzte Bischof
von Meißen gewesen und verbrachte seinen Lebensabend auf
dem Schloße Ruhethal. Ihm gehörte Mügeln mit dem
Kloster Sornzig. Dies zeigte sich ja auch dadurch, dass er aus
den Einkünften des Amtes 5 Gulden jährlich zur Unterhaltung
dieser Mägdlein-Schule stiftete.
In dieser Zeit war man ja allgemein der Meinung, dass Mädchen
keine Schulbildung benötigen. Die Einrichtung dieser „Mägdlein-Schule“ zeigt
uns weiterhin, dass schon viel früher eine Knabenschule bestanden
haben muss. Eine Schule oder ein Schulhaus finden wir nirgends
angegeben, aber die Lehrer werden erwähnt. Der erste erwähnte „Schulmeister
und Cantor zugleich“ ist ein Georgius Gerlach. Er kam im
Jahre 1539 aus Hainichen nach Mügeln. So können wir davon
ausgehen, dass schon im Jahre 1539 in dem Haus des Kantors an der
Nordseite der Johanniskirche Unterricht erteilt wurde. Ob in der
Wohnung des Kantors oder in einer extra Schulstube kann man heute
natürlich nicht sagen.
Die erste Erwähnung eines „Schulhauses“ an dieser
Stelle stammt aus dem Jahre 1606. Es steht geschrieben: „es
ist diese Knabenschule neu erbauet worden“. Also hatte vor
diesem Brand schon ein als Knabenschule bezeichnetes Gebäude
gestanden. Das Gebäude brannte am 3. Februar 1714 erneut ab
und wurde im gleichen Jahre wieder aufgebaut.
Dieses Haus war aber noch einmal so lang wie das Haus, welches
heute noch hinter Kirche steht. In einer Beschreibung lesen wir
u. a.: „… hat drey Abtheilungen, in deren einer der
Cantor seine Wohnung hat, unten aber die Knabenschule ist. In der
mittelsten Abtheilung befindet sich die Mädchenschule und
im dritten Theil nach dem Diakonathause zu die Wohnung des Baccalaureus
und Custos.“ Als in den Jahren 1910/11 das neue Pfarrhaus
erbaut wurde, riss man die Hälfte des alten Schulgebäudes
ab. Der heute noch stehende Teil wurde repariert, mit einem Walmdach
versehen und dient bis heute dem Kantor als Wohnung.
Dieses alte Schulgebäude hinter der Kirche erlebte im Laufe
der Jahrhunderte viele „renovirungen“. So musste es
z. B. im Jahre 1797 wieder einmal „durchgängig nur hergestellt
werden“. Aber jeder Umbau und jede Renovierung schaffen nicht
mehr Platz, zudem man mit immer weiteren Anbauten fast bis ans
Diakonathaus (Pfarrhaus) heranreichte. War der Kinderstrom manchmal
zu groß, so mietete man ein Zimmer im Erfurthschen Haus in
der Schlossgasse und unterrichtete dort eine Klasse.
Im Jahre 1832 war der Platzmangel wieder einmal so groß,
dass man den Beschluss fasste, eine Mädchenschule zu bauen.
Im Deutsch damaliger Zeit liest sich das so: „… da
die Zahl der schulfähigen Kinder so sehr angewachsen war,
dass die drei Unterrichtslokale dieselben nicht mehr fassen konnten
und nächst dem einzigen Mädchenlehrer noch ein zweiter
angestellt werden sollte, fand der gemeinnützige Vorschlag,
für die Mädchen ein besonderes Schulgebäude zu errichten … allgemeinen
Anklang.“ „Der Vorschlag erlangte die Oberhand … nach
welchem dasselbe … in den so genannten Hirtenhack, am Ausgang
der Entengasse … erbauet werden sollte.“
Im Frühjahr 1833 (Mittwoch nach Quasimodogeniti) wurde der
Grundstein feierlich gelegt. „Unten rechts vom Eingang, zur
ebenen Erde, sollte die Unterrichtsstube für die erste, links
für die zweite Mädchenklasse eingeräumt werden“.
Die zwei Mädchenlehrer wohnten oben links und rechts. „Durch
das Auffüllen des Platzes vor dem Schulhause ist dem jetzigen
ersten Mädchenlehrer H. Rudolph zugestanden worden, die eine
Hälfte des Platzes vor den Fenstern der ersten Classe, auf
eigenen Kosten zu einem Gärtchen einzurichten.“ Diese
alte Mädchenschule, in der sich heute u. a. das Seniorenstübl
befindet, steht mit der Vorderwand auf dem ehemaligen Stadtgraben.
Und die Postmeilensäule steht wahrscheinlich im ehemaligen „Vorgärtchen“ des
Lehrers Rudolph.
Zur besseren Erklärung etwas Originales: „Nach Beendigung
dieses Baues beeilte man sich, die drei alten Schullokale so einzurichten,
dass sie für zwei Knabenklassen hinlänglichen Raum und
für den Cantor und Baccalaureus Wohnung gewährten. Die
Ausführung wurde dem Amtszimmermeister Grellmann übergeben,
die Baukosten betrugen 674 Thlr. 10 Gr. 10Pf.“ Bei diesen
Bauarbeiten erhielt das alte Schulgebäude hinter der Kirche
anscheinend das Äußere, welches es bis zum Abbruch und
Umbau im Jahre 1911 hatte.
Schon um ca. 1830 soll es im Hack eine Armenschule gegeben haben.
In diese Schule gingen all die Kinder, deren Eltern das Schulgeld
für die Allgemeine Bürgerschule nicht aufbringen konnten.
Im Jahre 1872 wurden diese Kinder in einem Häuschen hinter
der Stadtbrauerei untergebracht. Dieses Haus wurde auch von dem
Röhrmeister Schönfeld mit bewohnt. Dieser Röhrmeister
war für die Holzröhren der Mügelner Wasserleitung
verantwortlich.
Ein Umzug war anscheinend deshalb notwendig, da es in dieser Zeit
so viel arme Leute in Mügeln gab, so dass die Kinder in zwei
Klassen unterrichtet werden mussten. Der Unterricht soll einklassige
gewesen sein.
Der letzte Lehrer dieser Schule war ein Herr Drescher. Ein Mügelner
schrieb in seinen Erinnerungen an die Kinderzeit: Dieser Mann trug
seinen Namen zu Recht. Er soll den Stock gewaltig geschwungen haben.
1881 brannte dieses Haus hinter der Brauerei ab. Darauf wurden
die Kinder dieser Armenschule in der „Pforte“ unterrichtet.
Das war ein Haus zwischen der heutigen Bäckerei Taube und
der Volksbank. Es war mit einem Durchgang für Fußgänger
versehen und hieß deshalb die Pforte.
Als im Jahre 1886 die neue Schule eingeweiht wurde, gingen vom
ersten Tage an diese Kinder mit in die Allgemeine Volksschule.
Es ist für Mügelner damit gleichzeitig ein Datum, von
dem an alle Kinder in eine neue einheitliche Volksschule gingen,
außer den Kindern einiger privilegierter Familien, welche
im Privatinstitut Hacker zur Schule gingen. Diese kamen ab Ostern
1892 mit in die Allgemeine Volksschule. So gab es bis zu diesem
Zeitpunkt in dem kleinen Mügeln unter den Schulkindern eine
Dreiklassengesellschaft. Oh, du gute alte Zeit!
Als die Räumlichkeiten für die ständig anwachsende
Schülerzahl wieder einmal nicht mehr ausreichten und auch „höheren
Ortes“ der unhaltbare Zustand in Mügeln zur Kenntnis
genommen war, plante man den Neubau eines Schulhauses. Planung
und Diskussion ging nach heutigen Maßstäben extrem schnell,
auch die Bauzeit. Kurz und heftig wurde im Mügelner Anzeiger
um den Standort gestritten. Zwei standen schließlich zur
Auswahl. Entlang der heutigen Gartenstraße, gegenüber
der Praxis Drobner in Richtung Friedhof und der Ort wo die Schule
heute steht.
Im Frühjahr 1885 (Mai) wurde mit dem Schulneubau begonnen.
Am 26. Oktober 1886 war die feierliche Einweihung.
In echt kleinstädtischer Manier war über alles im Mügelner
Anzeiger gestritten worden. Auch der Fortgang der Arbeiten wurde
ständig kommentiert und kritisiert. So, als man die Umrisse
der zukünftigen Turnhalle erkannte. Man verlangte einen sofortigen
Baustop, um die Turnhalle größer anzulegen. Sie muss
anscheinend auch etwas vergrößert worden sein. Aber
dies reichte den Mügelnern noch nicht. Die Turnhalle war schon
sehr leicht und aus Einsparungen beim Bau, sowie zusätzlichen
Mitteln angebaut. Zu mehr reichte einfach das Geld nicht. Und so
schrieb schon damals der Mügelner Anzeiger: Begnügen
wir uns mit dem was wir bekommen. Besser kleiner, als gar nichts!
So, wie eben auch heute.
Die Planung einer neuen Schule, vor und nach der Wende, hat mehr
Jahre verstreichen lassen, als vor 110 Jahren an Monaten gebraucht
wurde. Und so wird der alte Recke nach 110 Jahren neu angestrichen
und renoviert weiterhin seinen Dienst verrichten. Größer
und sehr viel moderner ist er deshalb nicht geworden. Wenn man
daran denkt, dass sich schon damals im Keller ein Schwimmbecken
und ein Warmbad für die Mügelner Bevölkerung befanden,
Fortbildungsschule, Fortbildungskurse, Kochkurse u. a. stattfanden
und in späteren Jahren Volkshochschulkurse durchgeführt
wurden. Der Kantoreichor und andere Chöre probten regelmäßig
in der Aula der Schule, wo auch Konzerte stattfanden.
Wüssten unsere Vorfahren, dass die von ihnen erbaute Schule
nach 110 Jahren noch immer ihren Dienst versieht und den Ansprüchen
genügt, sie würden ihre Bärte noch höher in
den Himmel strecken. Nur den Karzer, den sie mit eingebaut hatten – ja
der ist schon lange verschwunden.
Mügelner Anzeiger, 1996
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