Online-Chronik der Stadt Mügeln
 
Stadtrandsiedlung Mügeln

Wer will bauen? Ein Eigenheim mit Stallung und 1000 qm Land für 1000 RM. Ein großzügiges und soziales Projekt der Stadt.


Wie überall in industriellen Gegenden, so herrscht auch in Sachsen ein gewisser Mangel an billigen Kleinwohnungen. Dieser Tatsache können wir uns auch in Mügeln nicht verschließen. Wenngleich bei uns eine ausgesprochene Wohnungsnot nicht vorherrschend ist, so liegt aber immerhin das Bedürfnis vor, neue Wohnungen zu schaffen. Bei Wohnungsbeschaffungen ist nun aber das Gebot am Platze, gerade den weniger bemittelten Volksgenossen zu helfen. Einmal aus leichtfassbarem sozialen Empfinden heraus, zum anderen deshalb, weil man gerade den weniger bemittelten Volksgenossen durch Bereitstellung eines billigen Eigenheimes mehr als bisher mit der Scholle, die er sein eigen nennen kann, heimattreu und Landverbundenen verwurzelt. Hierdurch beugen wir einer zwangsläufigen Landabwanderung vor und bringen gerade den Schaffenden in den Fabriken und sonstigen Großbetrieben die Liebe zur Heimat und Scholle nahe. Hat er sein Eigenheim, so wird er in diesem seine stete Heimat sehen. Aus diesen Betrachtungen heraus erwuchs der Gedanke der Siedlungen. Auch unsere Stadt will hier helfen. Sie will Siedlungsmöglichkeiten schaffen und möglichst vielen Volksgenossen mithelfen, sich ein Eigenheim zu bauen. Seit Juli d. J. ist nun unsere Stadtverwaltung mit der Frage eine

„Stadtrandsiedlung Mügeln „Am Centner“

beschäftigt. Es war anfangs in Aussicht genommen, eine Serie – 10 Einfamilienhäuser – in engster Zusammenarbeit mit der Landessiedlungsgesellschaft zu bauen. Das Projekt aber wurde erweitert. Es sind nunmehr 2 Serien, also 20 Häuser, vorgesehen, da einerseits die Stadt genügend Gelände zur Verfügung hat und anderseits die Amtshauptmannschaft Oschatz Interesse an der Durchführung des Baues einer zweiten Serie in Mügeln hat. Auch dieses ist durchaus möglich. Somit könnte sich unsere Stadt glücklich schätzen, dem Wunsche der Amtshauptmannschaft nachzukommen. Man muss sich hierbei vor Augen führen, dass z. B. alle Siedlungspläne der Stadt Oschatz durch das Fehlen von Baugeländen durchkreuzt werden. Auch in Dahlen kommt die Ausführung des Siedlungsprojektes nicht weiter, da hier die Finanzierung nicht unerhebliche Schwierigkeiten macht. Die Stadt Mügeln ist in dieser Weise geradezu glücklich dran. In Bausch und Bogen liegt DAS SIEDLUNGSPROJEKT FERTIG da. Genügend Baugelände ist – wie bereits schon vorerwähnt – vorhanden. Die Finanzierung dieser Stadtrandsiedlung ist durchaus gewährleistet, ohne dass es dabei zu sehr an das berühmte „Stadtsäckel“ geht. Also, es könnte im Frühjahr mit dem Bau der Siedlung begonnen werden. Wohlgemerkt: Es könnte begonnen werden. Vorerst – und das ist der springende Punkt – fehlt es an Siedlern. Diese Tatsache ist ebenso betrüblich wie unverständlich. Man sollte eigentlich meine, dass Siedlungslustige mit Freuden das Projekt der Stadtrandsiedlung aufgreifen würden. An Siedlungslustigen fehlt es doch wahrlich nicht. Es besteht scheinbar die Befürchtung, dass man die Lasten des Baues von Siedlerseite aus nicht tragen könne. Diese Bedenken aber sollten zurücktreten. Abgesehen vom ideellen Wert des Eigenheimes, der ja beim Gedanken der Stadtrandsiedlung eine ausschlaggebende Rolle spielt, braucht sich der Siedler um die Siedlung seines künftigen Grundstückes seine Sorgen zu machen. Der Bau des Eigenheimes kostet rund 1000 RM. Von diesem 1000 RM. gehen noch 150 RM. ab, die der Siedler durch Eigenhilfe am Bau ableistet. So hätte der Baulustige tatsächlich nur 850 RM. Barkapital nötig. Dass natürlich für 1000 RM. kein Einfamilienhaus aus dem Boden gestampft werden kann, ist selbstverständlich. Wir verraten kein Geheimnis, wenn wir die Kosten eines solchen Siedlungshauses mit 5000 RM. angeben. Folgedessen würde der Siedler mit der Übernahme seines Eigenheimes ein Darlehen in Höhe von 4000 RM. benötigen. Dieses wird ihm durch Vermittlung der Stadt zu Verfügung gestellt. Die Verzinsung des Darlehens, das in diesem Falle als unkündbar angesprochen werden kann, ist äußerst gering. An Zinsen hätte der Siedler monatlich nur 26,50 bis 27 RM., einschließlich der Verzinsung seines Eigenkapitals, aufzubringen. Hierin einbegriffen ist die Amortisation. Mithin ist jedem die Möglichkeit gegeben, sich bei einer monatlichen Aufwendung bis zu 27 RM. im Höchstfalle ein Eigenheim zu bauen. Vorausgesetzt natürlich, dass er 850 RM. Eigenkapital zur Verfügung stellen kann.

Man wird nun vielleicht die Einwendung machen, dass dieser Betrag der monatlichen Verzinsung noch zu hoch sei, da man ja bei Mietswohnungen – jedoch keinesfalls in der Größe, wie sie die Siedlungen aufweisen – kaum mehr als 10 – 12 RM. für monatliche Miete aufzubringen hat. Dieses könnte zunächst nicht in Abrede zu stellen sei. Doch beleuchtet man diesen Einwand etwas näher, so kommt man zu der Feststellung, dass die monatlich aufzubringenden Lasten kaum oder nur unwesentlich höher sind, als die bisher gezahlte Miete in Höhe von 8 – 12 RM. Dieses leuchtet ohne weiteres ein, wenn man berücksichtigt, dass der Siedler nicht nur ein Haus erhält, das nach 2 Jahren in seinen Besitz übergeht bzw. das er in Erbpacht nimmt, sondern, dass er neben diesem Haus auch einen geräumigen Stall erhält, der ihm die Möglichkeit zur Kleinviehhaltung gibt. Das dieses wiederum möglich ist, dafür hat man insofern gesorgt, als dass jede Siedlung 1000 qm Acker umfasst.

Diese 1000 qm große Ackerfläche ist für den Anbau von Futtermitteln für die Kleintierhaltung bestimmt. Außerdem kann der Siedler einen Teil der Ackerfläche zum Anbau von Kartoffeln, Gemüse usw. für seinen eigenen Bedarf benutzen. Damit ist gesagt, dass diese zur Verfügung gestellte Ackerfläche dem Siedler ein krisenfestes Zusatzeinkommen bietet, dessen Wert mit 15 RM. monatlich nicht zu hoch bemessen sein dürft. Bei planmäßiger und sorgfältiger Bewirtschaftung lassen sich sogar noch höhere Nutzungserträge aus 1000 qm Ackerfläche herausholen, sodass die monatliche, allein für das Haus aufzubringende Belastung – Gesamtbelastung abzüglich Nutzungswert für Acker – kaum mehr als die bisher gezahlten Mieten in Höhe von 8 – 12 RM. ausmachen. Außerdem ist schließlich noch die ideelle Seite der Siedlung zu berücksichtigen. Der siedelnde Volksgenosse hat sein Eigenheim, hat niemals Ärger und Verdruss bei Mietstreitigkeiten, hat Gewähr für ein gesundes Wohnen in schönen und freundlichen Räumen. Er ist

sein eigener Herr auf eigener Scholle,

die er lieben lernen wird. Er kann seine Freizeit naturgebunden gestalten, mit Lust und Liebe kann er sich der Kleintierhaltung widmen, kann selbst seine Ackernahrung betreuen. Seine Kinder können in frischer Luft ohne Gefahren draußen herumtollen.

So ließe sich die Reihe dessen, was immer wieder für die Siedlung spricht, fortsetzen. Doch, was bereits vorerwähnt, sollte all die Volksgenossen, die beengt in Mietshäusern wohnen, veranlassen, einmal nachzuprüfen, ob sie nicht doch das Siedlungsprojekt der Stadt aufgreifen können und einmal mit der Stadtverwaltung Rücksprache nehmen. Es handelt sich doch hierbei keinesfalls um Projekte von irgendwelchen Siedlungsgesellschaften, die den Siedler auf lange Sicht, wie es früher einmal möglich war, ausbeuten wollen, sondern um eine Siedlung, die aus dem sozialen Empfinden des Staates heraus durch die Stadt gefördert wird und für den Siedler keinerlei Risiko bedeutet. Wenn man noch in Erwägung zieht, dass im schmucken Siedlerhaus im Erdgeschoß die Wirtschaftslücke, die Wohnlücke und ein Zimmer, alles in schöner Geräumigkeit, untergebracht sind und im ersten Stock sich 2 Zimmer von 10 bzw. 11,5 qm Größe, außer einem nicht kleinen Abstellraum befinden, dann sollte man mit Freuden in den interessierten Kreisen erwägen, ob man nicht doch lieber siedeln sollte, als jahre= oder jahrzehntelang in engen Mietswohnungen zu wohnen. Mit Freuden ist von verschiedenen Stellen der Wirtschaft dieses Siedlungsvorhaben aufgegriffen worden. So hat z. B. die „Lipsia! Siedlungslustigen ihrer Gefolgschaft die Stellung eines Darlehens in Höhe von 850 RM- zugesichert, sodass die Gefolgschaftsmitglieder der „Lipsia“ in der glücklichen Lage sind, zu siedeln, ohne eigentlich Eigenkapital zu haben, da ja die restlichen 150 RM. in Eigenhilfe geleistet werden.

Es steht nunmehr abzuwarten, wie sich die Dinge in der Angelegenheit „Stadtrandsiedlung Mügeln“ entwickeln. Zu wünschen wäre es jedenfalls, wenn es nicht nur möglich wäre, die Siedlung in einer Serie, sondern gleich in 2 Serien durchzuführen. Dadurch würde einerseits der Arbeitsmarkt wertvoll belebt, es würden Werte von Bestand geschaffen und nicht zuletzt geht es ja hierbei um die ureigensten Interessen der Siedler, denen das Leben im eigenen Heim, auf eigner Scholle um vielfaches inhaltsreicher wird. Schließlich kann er ja auch seinem Kinde für später etwas mitgeben, was er selbst aufgebaut hat und wofür ihm sein Kind von Herzen dankbar sein wird.


Mügelner Tagesblatt, 14.12.1935