Online-Chronik der Stadt Mügeln
 

SEOK (Sächsische Elektro-Osmose Kaolin-Werke)

Selbst den alteingesessenen Bewohnern von Mügeln und Umgegend dürfte die Beschaffen-heit des Kaolins und seine Verwendung noch wenig bekannt sein. Um so weniger ist es zu verwundern, wenn weiter entfernt Beheimatete erstaunt sind über das Vorkommen von Por-zellanerde in einer Gegend, von der man Besonderheiten nicht zu erwarten glaubt; noch grö-ßer wird aber deren Staunen bei der Feststellung der Tatsache, Dass im regelrechten Bergbau 70% aller deutschen keramischen Kaoline im Kemmlitz-Börtewitzer Becken gewonnen, bzw. bearbeitet werden.
Der eigentliche Gründer der jetzigen Sächsischen Elektro-Osmose Kaolin-Werke Kemmlitz war der Gutsbesitzer Wilhelm Riedel, der im Juli 1883 am Kemmlitz-Pommlitzer Wege den ersten Rohkaolin gewann und mittels Wagen infolge Fehlens einer Eisenbahn den Rohstoff nach Oschatz fahren musste. Bei den damaligen geringen Betriebsspesen ließ sich ein solches Verfahren noch durchführen. Nach ihm übernahm im Jahre 1885 der Sohn Emil Riedel das väterliche Anwesen, und es wurde während der Jahre 1885 – 1886 eine sehr bescheidene Schlämmanlage errichtet, wofür die Kraft durch ein Wasserrad und bei dessen Versagen durch einen Petroleummotor gewonnen wurde. Heute noch ist dieser Uranfang zu sehen und, wenn auch verbessert, noch in Benutzung. Da schon zu jener Zeit eine rege Nachfrage nach Kemmlitzer Erde herrschte, so wurde die Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haf-tung geplant und diese 1899 ins Leben gerufen. 1898 erfolgte bereits der Bau eines Schach-tes, der nunmehr eine Tiefe von etwa 35 Meter hat und den Abbau in 3 Stockwerken gestat-tet. Die Entfernung vom Betriebsbahnhofe im Schacht bis zur Schlämmereianlage beträgt etwa 1 200 Meter, und da der Transport auf der Straße infolge des unebenen Geländes große Schwierigkeiten begegnete, so wurde während der Jahre 1900 – 1903 nach der Sohle des Schachtes ein Tunnel erbaut. Im Jahre 1903 war endlich der Gleisanschluss an die Neben-bahn Nerchau – Trebsen – Oschatz fertiggestellt, und dadurch konnte die Gesellschaft die Leistungsfähigkeit immer mehr ausnutzen. Alle diese Erweiterungsbauten wurden von dem damaligen Direktor Ortlepp, der von 1900 bis 1908 eifrig bemüht war, den Ruf und die Leis-tungsfähigkeit der Sächsischen Kaolin-Werke zu heben, durchgeführt. Nach dessen Tode war es Direktor Nickel, der in den Jahren 1908 bis 1910 einen bedeutenden Bau über dem Schachte errichtete und auch in Werk I durch Vergrößerung der Anlagen erneut die Leis-tungsfähigkeit der Werke erhöhte. Während der Tätigkeit des Direktors Richter in den Jahren 1911 – 1917 wurde in dem benachbarten Glossen ein Tagebau angelegt, der einzig dem Ver-sand von Rohkaolin dient und nötig war, um das Hauptwerk in Kemmlitz zu entlasten. Um der überaus empfindlichen Wohnungsnot zu begegnen, wurde 1913 die Däbritzsche Wirt-schaft erworben und dadurch vier Familien Wohngelegenheit verschafft. Heute dagegen be-sitzen die Werke 22 eigene Werkswohnungen.
Anfang 1918 übernahm Direktor Wurbs die Geschäftsleitung, und in Erkenntnis dessen, dass es für Deutschland unbedingt nötig sei, die in heimischer Erde lagernden Rohstoffe zu heben und zu benutzen, erfolgte im Jahre 1918 erneut eine Vergrößerung der vorhandenen Anlagen. Dadurch wurde die Erzeugung wiederum ganz wesentlich erhöht. Die Durchführung des Baues lag in den Händen des Ingenieurs Müller, der noch zurzeit die Geschäfte der Werke führt.
Die Jahre 1918 – 1924 brachten für die Werke ziemlich einschneidende Veränderungen.
Die Werke übernahmen 1922 die Durchführung des in Deutschland noch nicht eingeführte-nelektro-osmotischen Schlämmverfahrens. Während die bisherige Schlämmweise eine rein mechanische Nassaufbereitung war, wurde durch das neue Schlämmverfahren die Aufberei-tung der Rohkaolinmassen auf elektro-chemischem Wege durchgeführt und es dadurch mög-lich, das Kaolin als Fertigprodukt mit 90 % Reinheit auf den Markt zu bringen, während bei dem mechanisch geschlemmten Kaolin nur eine Reinheit von durchschnittlich 80 % zu errei-chen ist.
Die Erweiterung der Werke nahm ihre laufende Entwicklung, sodass zurzeit die sächsischen Elektro-Osmose Kaolinwerke die größte Produktion in keramischen Kaolinen für Deutsch-land aufweisen. Während im Jahre 1900 nur ca. 39 000 Ztr. geschlämmtes Kaolin hergestellt werden konnten, sind die Werke jetzt in der Lage 270 – 300 000 Ztr. im Jahre herzustellen. Dias bedeutet eine tägliche Fabrikation von1 800 – 2 000 Ztr. geschlämmtes Kaolin, zu de-nen eine tägliche Förderung aus den unterirdischen Gruben von 6 – 7 000 Ztr. Rohkaolin notwendig ist, da das Rohkaolin nur mit ca. 30 % ausgebeutet wird. Der bei dem Schlämm-aufbereitungsprozess sich ergebende Rückstand muss auf großen Halden gestapelt werden, dadurch entstehen die schon aus weiter Ferne sichtbaren Sandberge.
Die in der Umgegend Mügelns erzeugten Kaolinprodukte wandern von hier aus nach allen Teilen Deutschlands und in nicht unerheblichen Mengen auch in das angrenzende Ausland, teilweise sogar über See bis nach Amerika.
Die Verarbeitung des Rohkaolins zu fertiger Porzellanerde ist keinesfalls so einfach und pri-mitiv wie der Laie glauben wird. Es ist notwendig, dass dieses Endprodukt stets eine gleich-bleibende Reinheit aufweist, in seiner chemischen Zusammensetzung also gleichbleibend ist. Auch muss die Trockenheit des Materials immer die Gleiche sein, um bei der Verarbeitung zu Porzellan keine Fehler entstehen zu lassen. Das Material wird deswegen im Laboratorium täglich laufend auf seine Beschaffenheit untersucht. Da die Fabrikation des Kaolins im durchlaufenden Prozess geschehen muss, - um eine Gleichmäßigkeit zu erzielen, - arbeiten die Werke Tag und Nacht in Drillingsschicht. – Außer dem Bezug elektrischen Kraftstromes von Gröba besitzen die Werke noch eine eigene Kraftzentrale, um so jeder Störung begegnen zu können. Die Gewinnung des Rohkaolins im unterirdischen Grubenbetrieb hat ganz beson-dere Eigenarten und ist keineswegs gefahrlos. Die Gewinnungsart weicht vollständig von der der Erz- oder Kohlengruben ab. – Es werden bis zum Ende der Grube Stollen vorgetrieben und dort erst mit dem Abbau begonnen. Durch das Rauben des Rohkaolins entstehen unterir-dische große Höhlen, die oft eine Höhe von 10 – 15 m erreichen. Aus einer solchen Höhle werden oft 40 – 50 000 Ztr. gefördert.
Diese Höhlen brechen später zusammen und das über diesen stehende Deckgebirge bricht mit herein, sodass über Tage große Löcher entstehen. Durch den jahrelangen Abbau im vorge-schilderten Charakter ergeben sich dann die großen Bruchfelder. Das Rohkaolin wird durch die Stollen in den Grubenhunten bis an die Rollen (große unterirdische Sammelbehälter) von den Grubenleuchten gefördert und von diesen Rollen entweder mit der Grubenbahn zur Wei-terverarbeitung nach dem Unterwerk transportiert oder mittels Fahrstuhl zum Oberwerk ge-fördert. In dem Unterwerk bzw. Oberwerk beginnt die Aufbereitung des Kaolins durch das elektrolytische bzw. mechanische Schlämmverfahren.
Bei dem mechanischen Schlämmverfahren wird 1 t Kaolin mit ca. 7 t Wasser aufgeschlämmt und durchgewaschen. Der grobe und mittlere Sand wird in den Aufschlämmapparaten aufge-fangen und mechanisch ausgeschieden, wohingegen der Feinsand in ca. 40 – 60 m langen Gerinnen, durch welche die Kaolinmilch fließt, sich absetzt und aus den Gerinnen ausge-schaufelt werden muss. Die aus den Gerinnen abfließende Kaolinmilch fließt in große ca. 60 – 100 cbm fassende Klärbehälter, wo sie sich durch absetzen verdickt.
Das Osmoseschlemmverfahren hat gegenüber dem mechanischen Schlemmverfahren einen bedeutend einfacheren Charakter. Die Aufschlämmung erfolgt hier ganz dick, im Verhältnis 1 x 1,5 (wohingegen bei mechanischen Schlämmverfahren 1 x 7), zu dieser Schlämmmasse wird noch das Elektrolyt zugesetzt, welches die ganze Aufschlämmmasse in einen Sol-zustand bringt. Durch diesen Solzustand wird bewirkt, dass sämtliche Sandrückstände des Schlämmprozesses sich mechanisch ausscheiden und von den Schlämmapparaten eine fertige Kaolinmilch mit 90 % Reinheit abfließt, ohne dass diese Milch durch die Schlämmgerinne gelaufen ist.
Mit beiden vorstehend geschilderten Verfahren sind 2 Kaoline in flüssiger Form gewonnen worden. Einmal das 80 %ige mechanisch geschlämmte Kaolin, zum anderen das 90 %ige osmotisch geschlämmte Kaolin. Mit Hilfe von Kaolinfilterpressen wird das flüssige Kaolin in Kuchenform verwandelt. Die aus den Pressen kommenden Kuchen haben noch eine Feuchtigkeit von ca. 30 %. Diese Kuchen werden auf Hordenhunten gestapelt und wandern automatisch durch den Trockenofen, den sie nach ca. 18 Stunden mit nur noch 8 – 10 % Feuchtigkeit verlassen. Dieses Endprodukt der Kaolinschlämmerei wird dann entweder lose oder in Säcken verladen den Abnehmern zugeführt.
Die das hiesige Kaolin verarbeitenden Industrien sind vornehmlich keramische Werke, doch findet das Kaolin auch Absatz in der Papier-, Gummiwaren-, Chemischen, Farben- sowie Rauchwarenindustrie.
Hoffentlich dient diese kurze Erläuterung mit den beigefügten Abbildungen dazu, eine, wenn auch knappe Aufklärung über den Charakter, die Gewinnung, sowie die Bedeutung der Kao-linindustrie der Mügelner Umgegend zu geben. Erich Müller
. (aus dem Heimatbuch von 1925)