Wie Mügelner
Bürger „Niedergoselner“ zum Heeresdienst pressen
wollten
„
Städter“ sind immer etwas besseres als „Dörfler“!
Eine Stadt mit Mauern umgeben, gab ihren Bürgern einen gewissen
Schutz. Die Bürger waren stolz auf ihr Gemeinwesen. Nicht
selten kam es vor, dass Städte ihre Stadttore selbst Fürsten
versperrten. Natürlich nicht unser Mügeln. Aber was unsere
Mügelner Vorfahren alles so „drauf hatten“, kann
man anhand von Unterlagen aus alten Archiven erfahren.
So gibt es in den Gerichtshandelsprotokollen von Oschatz, im Sächsischen
Staatsarchiv einen Vorgang welcher hier geschildert werden soll.
August der Starke baute sein Heer auf. Schon 1696 befahl er die
Werbung von 4000 Mann. Zwei Jahre später 2500 Mann im „Inland“.
Da die „vornehmen“ Stände vom Wehrdienst befreit
waren, beschränkte sich die Werbetätigkeit von vornherein
auf die Söhne der armen Land- und Stadtbevölkerung. Da
sich die betreffenden Untertanen durch die Flucht in die Wälder
und über die Grenzen dem Zugriff der Werber entzogen, wurde
der Kreis der Rekrutenanwärter immer kleiner. Die Werbeoffiziere
waren genötigt, zu allerhand Gewaltmitteln zu greifen. Gegen
diese oft barbarischen Ausschreitungen erhob man bei der Regierung
Klage über Klage. Nebenher ging die Werbung außerhalb
des Landes und die Übernahme fremder Truppen. Da der Erfolg
trotz der hohen Kosten gering war und der nordische Krieg begonnen
hatte, traten die Bestrebungen des Königs, die Armee durch „Landeskinder“ zu
ergänzen und zu verstärken, besonders in den Jahren 1702
bis 1706 stark hervor.
In diesem Zeitraum wurden vier Rekrutierungen durchgeführt:
1702, 1704, 1705 und 1706.
Dabei war das Verfahren so: Jede Gemeinde hatte eine ihr zugeteilte
Anzahl von Leuten aufzubringen. Wie sie zu dieser Zahl kam, bleib
ihr zunächst selbst überlassen. Wenn sich niemand freiwillig
fand, sollte innerhalb der Gemeinde ausgelost werden. Es kamen
Männer vom 18. bis 50. Jahr in Betracht.
Bei der Rekrutierung von 1704 sollten 2000 Mann von der Ritterschaft,
2000 Mann von den Städten und 2000 Mann von den Ämtern
aufgebracht werden. Im März 1704 wurde Aushebung durch gedruckte
Mandate bekannt gegeben. Nun begannen überall die „Verhandlungen“ mit
den jungen Leuten, die als Rekruten einrücken sollten. Am
21.5.1704 wurde für Goseln und Leuben Abraham Hebestreit auf
3 Jahre verpflichtet. Er bekam dafür 50 Gulden. Das war ziemlich
viel Geld, man konnte dafür ein Häuschen kaufen. Abraham
Hebestreit nahm 11 Gulden, 9 Groschen bar zu sich, die übrigen
38 Gulden, 15 Groschen bekam Hans Müller zur Aufbewahrung.
Das Häuschen in Goseln sollte A. Hebestreit, weil er der Erbe
war, bis zu seinem Zurückkauf vorbehalten werden. Er bestimmte
weiter, dass bei einer Nichtwiederkehr seine drei Brüder Häuschen
und Geld erben sollten.
In Mügeln hatte man es mit der Rekrutierung nicht so eilig.
Nach Eintreffen des Mandats hielt wohl der Bürgermeister Umfrage
in der Bürgerschaft, aber wie erwartet, niemand meldete sich.
Andere Ereignisse mögen gekommen sein, neue Sorgen, die Soldatenangelegenheit
wird in Vergessenheit geraten sein. Im Herbst mahnte die Regierung
so energisch, dass dem Bürgermeister „ein frieren“ angekommen
sein muss.
Mit den Ratsverwandten wird er hin und her beratschlagt haben,
wie man es anstellen könnte. Da mag einer auf die Idee gekommen
sein und gesagt haben: „Da ist doch Goseln schön raus,
die haben ihren Rekruten. Einen Abraham Hebestreit, den ältesten
Sohn einer armen Witwe, die ein Häuschen auf Gemeindegrund
hat.“ Ein anderer mag gesagt haben: „Hebestreit, Donnerwetter,
hat nicht Peschel einen Hebestreit aus Goseln als Drescher?“ Der
Bürgermeister: „Das wird unser Rekrut!“ Einige
Tage darauf holte man diesen Matthäus Hebestreit vom Mittagessen
bei seinem „Dreschwirt“ weg und schleppte ihn aufs „Torhaus“ zum
Stadtknecht. Hier versuchte man ihn nochmals zu überreden
für die Stadt Mügeln als Rekrut einzurücken. Doch
muss dieser Hebestreit nicht auf den Mund gefallen gewesen sein
und hat tüchtige Antwort gegeben. Darauf hat man ihn tüchtig
verprügelt und ihm im Arrest gelassen. Die Kunde von Hebestreits
Schicksal kam bald bis nach Goseln. Hans Müller besuchte ihn
und ließ sich alles erzählen. Hebestreit bat ihn, sein
Unglück der Gerichtsherrschaft zu melden, was dieser auch
unverzüglich tat.
Und von hier aus erfahren wir den ganzen Sachverhalt aus den alten
Protokollen und Niederschriften.
Am 28.11.1704 gab Hans Müller den Vorfall an Gerichtsstelle
zu Protokoll. Nach Aufnahme desselben verfasste der Gerichtsverwalter
Trobisch einen höflichen Brief an den Bürgermeister zu
Mügeln. Er schrieb:
An Herrn Bürgermeister zu Mügeln.
Edler, Wol Ehren Vester
Wolgelahrter, und Wolweiser,
insbesonders Vielgeehrter
Herr Bürgermeister!
Mit nicht geringer Befrembdung Habe von meines Gerichts anbefohlenen
Zu Goseln, Matthäus Höbestreitens, anhero an mich abgeordneten
Vernehmen müßen , wie ihme etliche Bürger Zu Mügeln,
alß er über eingelassenen Drusche, bey Martin Pescheln
ihren Mitbürger, am Verwichener Mitte woche das Mittags Brod
geßen, die Stubenthüre Vertreten und Zum Recruten Vor
die Stadt Mügeln, weil Sie Verwichenen Sommer keinen abgeben,
Zwingen wollen, und als er dazu nicht gewilliget mit Zwange uf
das Thorhauß bey der Stadt, Zum Stadtdiener gesetzet, Von
deren Bürgern bewachet würde, und darüber, die Wachenden
Bürger ihn mit Ohrfeigen und Brügeln das er Zum Recrutieren
willigen sollte, Zu tractieren pflegten.
Nachdeme aber dieses Vornehmen, wieder des Königl. Pollni
und Churfl. Sächß. Allergnädigsten Befehl läuffet,
weil diese Recruten ohne iemandes Zwang, und aus den ihrigen frey
willig angeschaffet werden sollen.
Alß habe meinem Hochgeehrten Herrn Bürgermeister hiernach
ersuchen wollen, obengedachten Matthäus Höbestreiten
aus des Stadtdieners Behausung, und nacher Goseln Zu lassen, ihme
auch Vor die Bißhero erlitten schläge Satisfaction Zu
Verschaffen, oder er wartten, daß solches Höheren ohrtes
sich darüber beschweret, und über solcher Bürgerschaft,
ver und antwort geben solle, übrigens Verbl. gewaltigung der
Rath (weil dieser es doch zuläßet) und die des H. Bürgerm.
Martin Trobisch
Lamperßwalde, den 28. Nov. 1704.
Der Bürgermeister aber ließ sich durch diesen brief,
den ihm der Bruder des Eingesperrten Georg Hebestreit überreichte,
nicht einschüchtern, sondern ließ sagen: „dass
der bewachte Bruder nicht los käme, wenn er auch zehn Schreiben
erhielte.“
Den Mügelner Bürgern war anscheinend die Kühnheit
ihrer Tat zu Kopfe gestiegen, und so wagten sie noch mehr. Zwei
Tage nach der Gefangensetzung Hebestreits, machten sich sechs Bürger
von Mügeln auf und schlichen am Abend nach Goseln um noch
mehr Rekruten zu holen. Die Bewohner gerieten in nicht geringe
Bestürzung, besonders fürchtete sich das Gesinde.
- Am nächsten Morgen setzte man den Gerichtsverwalter in Kenntnis,
und der erließ folgenden Aufruf:
„
An die Einwohner zu Goseln.
Nachdem ich Vernehme, wie sich etliche Bürger aus der Stadt
Mügeln unterstehen sollen, in das Dorff Goßeln Zu kommen,
Von dar Junge Manschafft abzuholen, und ihre noch nicht abgegebene
Recruten damit ersetzen wollen, Die weil aber die Bürger zu
Mügeln, ihre Recruten ohne Zwang anschaffen sollen. Als will
denen Einwohnern Zu Goßeln hiermit Befohlen und aufferleget
haben, wenn sich Bürger aus Mügeln in ihrem Dorffe Befinden
oder Betreten würden, die jungen Pursche wegnehmen oder nur
nach selben fragen würden, Zum Recruten nach Mügeln ab
Zu holen, so sollen sich die Einwohner Zu Goseln der Bürger
bemächtigen, Zu gewisser Verwahrung nehmen, und ufn nothfall
anschließen, mier auch solches so flugs anhero berichten.
Dernach Sie sich zu achten.
Lampertwolda den 30. November 1704.
Martin Trobisch
Nun nahm der Gerichtsherr von Goseln Oberstallmeister Hans Gottlieb
von Thielau auf Leuben, Welcher in Dresden ein Infanterieregiment
befehligte, die Sache in di Hand und wandte sich am 2.12.1704 an
den König und Kurfürsten. Der Herr Oberstallmeister war
von allen Dingen darüber empört: „was Vor Kaltsinnige
Antwort“ der Bürgermeister gegeben hatte und dass „6
Mügelische Bürger am 28.11. haben gelüsten laßen
, in bemeltes mein Dorf Goseln ein Zu fallen.“
Doch geschah nichts darauf. 14 Tage später musste der Gerichtsverwalter
seinem Herrn nach Dresden melden: „… dass die bürger
von Mügeln, diesen Hebestreit Verwichene Nacht (am 15.12.)
durch Vier Mußquetierer nacher Dreßden führen
laßen.“
Am 20.12. berichtete der Oberstallmeister von Thielau dem Kurfürsten,
der schon der Stadt Mügeln durch die Stiftsverwaltung zu Wurzen
Befehl gegeben hatte, den Matthäus Hebestreit zu entlassen.
Ob das geschehen ist, erzählen die Akten leider nicht.
Das sich die Mügelner Bürgschaft auf solche Art und
Weise in den umliegenden Dörfern „bediente“ ist
schon ein starkes Stück. Wir bitten die Goselner noch heute
für diese „Schandtat“ um Entschuldigung.
G. Thiele (Mügelner Anzeiger 1992)
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