Lipsia, Chemische
Fabrik
So lautet die Aufschrift auf dem Schilde zum Fabrikgrundstück.
Im Volksmunde heißt sie kurz „die Chemische“.
Ganz unbewusst scheint man zu wissen, dass der hier hauptsächlich
hergestellte Stoff ein feines Pulver, das durch alle Ritzen dringt,
Dächer Häuser und Men-schen weiß bestäubt,
der Gesundheit nicht schädlich ist; vielleicht fühlt
man mehr, als man es weiß, dass diese Magnesia vielmehr gesundheitlich
fördernd auf Magen und Darm wirkt. Welche Bewandtnis hat es
mit diesem Stoffe? Woraus und wozu gewinnt man ihn?, so fragt unwillkürlich
der Beschauer der umfangreichen, verschiedenartigen Baulichkeiten.
Um 1895 gab der damalige Besitzer der hiesigen Apotheke, Herr Heinrich
Konrad, die Anregung, dem in der hiesigen Gegend anstehenden Dolomitenkalke,
dem Niederschlage aus den Meeres-buchten des Kreidemeeres, das
einst vor Jahrtausenden die hiesige Gegend bespülte, die dar-in
enthaltene Magnesia durch ein in England bereits erprobtes Verfahren
zu entziehen und damit Mügeln einen neuen Industriezweig zu
geben. Es gelang ihm, nach längeren Bemü-hungen in Mügelner
wie auch in Leipziger Bekanntenkreisen so viel Interesse für
das geplan-te Unternehmen zu erwecken, dass am 07. Oktober 1898
die Aktiengesellschaft Lipsia (= Leipzig) chemische Fabrik Mügeln
mit einem Aktienkapital von 250.000 Mk. – (1925 - 501.000
Mk.) gegründet werden konnte. Ganz naturgemäß waren
anfangs allerhand Schwie-rigkeiten zu überwinden, die ihre
Ursachen teils in nicht gelernten Arbeitskräften, teils im
Rohstoffe oder im Gewinnungsverfahren selbst hatten. Schließlich
wusste auch der Markt mit den nach damaligen Begriffen ungeheuer
großen Mengen Magnesia nichts anzufangen. Dies ist verständlich,
wenn man bedenkt, dass die hier zur Fabrikation vorgesehene Magnesia
bis dahin fast nur zu medizinellen Zwecken in Deutschland verwendet
wurde, und ihre sons-tige Anwendung nur geringfügiger Art
war. Was gebraucht wurde, ist damals von England eingeführt
worden. Was solange als Jahresquantum galt, sollte nunmehr als
Tagesproduktion Absatz finden. Schon glaubten die damaligen Propheten – und
es waren ihrer viele - mit dem Fehlschlag der Gründung des
Unternehmens Recht behalten zu sollen, als es dem im Jahre 1899
als Vorstand eingetretenen Direktor Franz Teschner gelang, der
Sache die günstige Wendung zu geben. Bis dahin nicht geahnte
Absatzgebiete wurden erschlossen, und im Lau-fe der folgenden Jahre
wurde das Städtchen Mügeln durch die auf der Lipsia erzeugte
Spezi-almagnesia bis in die entferntesten Weltgegenden bekannt.
Mit kurzen, durch die inneren deutschen Wirren begründeten
Unterbrechungen arbeitet die Lipsia seit nunmehr 26 Jahren in ununterbrochenem
Tag- und Nachtbetrieb zum Segen derer, die an das Unternehmen ge-glaubt,
aber auch zum Segen des engeren und weiteren Vaterlandes. Lipsia
- Magnesia findet heute Verwendung zu ungezählten Zwecken;
darunter insbesondere bei der Fabrikation von Seifen und Pudern,
bei der Herstellung von Zahnpasten und Salben, als Zusatz für
Appretu-ren, als Heilmittel bei Magen- und Darmerkrankungen u.
a. m. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass neben der Haupterzeugung
von kohlensaurer und daraus hergestellter gebrannter Mag-nesia
eine Anzahl Nebenfabrikate gewonnen werden, welche für Spezialzwecke
sich eines ganz besonderen Rufes erfreuen.
Während anfänglich ca. 60 Arbeiter und Angestellte beschäftigt
wurden, hat sich die Beleg-schaft des Werkes jetzt auf über
150 Personen erhöht, wobei zu beachten ist, dass der Fabri-kationsbetrieb
hauptsächlich maschineller Art ist.
Herr Direktor Teschner, welcher seit über23 Jahren als alleiniger
Vorstand der Gesellschaft tätig ist, konnte im vergangenen
Jahre in voller Rüstigkeit sein 25 jähriges Dienstjubiläum
als Vorstand der Aktiengesellschaft begehen. An dieser Stelle sei
hervorgehoben das vorbildli-che Zusammenwirken des Vorstandes mit
dem ihm nach Aktiengesetz übergeordneten Auf-sichtsrat. Die
Personen des Letzteren haben im Laufe der Jahre mehrfach gewechselt.
Dem-selben gehörte bis zu seinem im Jahre 1917 erfolgten Tode
der Mitbegründer der Gesell-schaft, herr Apotheker Heinrich
Konrad, als Vorsitzender an.
Zur Zeit besteht der Aufsichtsrat aus folgenden Herren:
•
Herr Ökonomierat Arndt Uhlemann, Kammergut Mügeln, als
Vorsitzender;
•
Herr Rittergutsbesitzer Carl Gadegast, Niedergrauschwitz, Als stellvertretender
Vor-sitzender;
•
Herr Bankdirektor Karl Grimm, Leipzig;
•
Herr Fabrikbesitzer Dr. jur. ludolf Colditz, Leipzig.
Die ersten beiden Herren, welche als Mitbegründer zu gelten
haben, sind von Anfang an Mit-glieder des Aufsichtsrates gewesen.
Weiter sei erwähnt, dass der Vorstand es verstanden hat, sich
stets die tüchtigsten Mitarbeiter zu sichern. Von diesen,
und zwar sowohl von den Angestellten wie auch von den Arbeitern,
stehen viele seit langen Jahren in den Diensten der Lipsia und
konnten bereits einzelne der-selben für 25jährige treue
Dienste durch das tragbare Ehrenzeichen ausgezeichnet werden. Welche
Bedeutung die Lipsia auch für die Reichsbahn hat, sei nur
an einigen zahlen aus dem Jahre 1924 gezeigt. Die Zufuhr von Rohstoffen
und Kohlen, sowie der Versand von Fertig-waren erreichte in diesem
Jahre die Ziffer von weit über 20 000 Tonnen, insgesamt rund
2 200 Großbahnwagen zu je 10 Tonnen. Leider verbietet es
der Raum dieses Buches, noch weiter auf den sehr interessanten
Betrieb im Einzelnen einzugehen. Mit besonderem Danke aber sei
noch hervorgehoben, dass das Werk bei Schluss eines jeden Geschäftsjahres
aus sei-nem Reingewinn zahlreichen Vereinen und Körperschaften
Mügelns in uneigennütziger Weise erhebliche Geldspenden
zuwendete und so in schönster Weise sozial wirkte.
Möge dem Werke zum eigenen Wohle, wie auch zum Besten der
Allgemeinheit der tüchtige Leiter noch recht lange erhalten
bleiben, und möge es ihm vergönnt sein, auch weiterhin
zur Hebung und Förderung des Unternehmens erfolgreich tätig
zu bleiben.
. (aus dem Heimatbuch von 1925)
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