Online-Chronik der Stadt Mügeln
 

Der Hack in Mügeln, als Vorort und Armenviertel

von Günter Thiele


Als anno 1708 der Mügelner Pfarrer M. Daniel Otto Zießler seine „Müglische Ehren- und Gedächtniß-Seule“, also seine Chronik beendete, fügte er noch einmal alle zur Zeit in Mügeln lebenden Einwohner namentlich an. Rechnen wir die genannten Viertelsmeister und Ratsangestellten dazu, da wir annehmen, dass sie auch mit in der „Ringkmauer“ gewohnt haben, so kommen wir auf ungefähr 100 Namen, davon waren sechs Witwen. Von den anderen waren 91 Meister und 3 Tagelöhner. Da Zießler die Leute von der „Grimmaischen Vorstadt“, „wie sie in der Ring-Mauer wohnen“, und „dieser und folgende wohnen in der Lommatzschen Vorstadt“ der Reihe nach aufzählt, können wir durchaus annehmen, dass die drei Tagelöhner bei den vor ihnen aufgezählten Meistern gearbeitet und auch gewohnt haben.

So lesen wir unter Nummer 60: Hans Jentzsch, Tagelöhner, hinter Johann Däweritzsch Wittibe. So wird dieser Jentzsch bei der Fuhrmannswitwe als Fuhrmann gearbeitet und auch dort gewohnt haben, wobei wir da gar keine Hintergedanken haben.

Unter Nummer 62 haben wir den Meister Johann Christopf Tauber, einen Schartzferber. Als nächsten Namen lesen wir Caspar Schneiders Tagelöhners Wittibe.

Unter Nummer 88 Johann Rosperg, Land-Fuhrmann und als nächsten Namen Christian Reinhard, Tagelöhner. Das alle drei Tagelöhner-Namen hinter denen von ihren Arbeitgebern und Wirtsleuten stehen, kann man als gegeben annehmen.

Vor dem „Grimmaischen Thore“ zählte uns Zießler 34 Namen auf. Davon sind 11 Personen Tagelöhner. So u. a. Caspar Beyrich, sein Name steht hinter Meister Friedrich Gregorii Schneiders Wittibe. Dann gibt es einen Andreas Schneider Tagelöhner und Bierbrauer. Ferner einen Martin Kleßig, Tagelöhner, dessen Namen steht hinter Meister Hans Jacob Kühnens Leinewebers Wittibe. Dieser wird also bestimmt bei der Leineweber-Witwe seiner Beschäftigung nachgegangen sein. Anführen möchte ich noch den Röhrmeister Johann George Hoffmann, hinter seinem Namen folgen die Namen dreier Tagelöhner, nämlich Hans Frentzel, Martin Planitz und Mattheus Reinhardt.

Wie systematisch Zießler bei der Aufstellung der Namen vorging, sehen wir auch bei den Angaben zur Hasenmühle, zum Anger, zur Schmiede usw., so dass man heute noch nachvollziehen kann, wo die einzelnen Leute gewohnt haben. So bei der Angabe des Schmiedemeisters Johann Curt. Diese Schmiede war über Generationen im Besitze dieser Familie, bevor sie von der Familie Kubasch gekauft wurde (Ecke Friedrichhofstraße). Bei diesem Schmied war bestimmt ein Hans Tietze als Taglöhner beschäftigt, denn dessen Name wird gleich danach aufgeführt.

In der „Lommatzscher Vorstadt“ werden uns 22 Namen genannt. Darunter eine Witwe und zwei Tagelöhner. Alles andere sind Meister, darunter allein sechs Schuhmacher-Meister. Die beiden Tagelöhner, das waren George Degen, sein Name folgt hinter dem des Meisters Johann Adam Dittlebe, einem Tischer (Tischler) und Hans Wittig, dessen Name folgt dem des Meisters Christian Hentzgen, einem Schuhmacher.

Doch kommen wir wieder zum Hack.
Diese Namen stehen unter Nummer 139 bis 147 aufgeführt. Die Art der Namensaufführung ist bezeichnend. Name, entweder Tagelöhner oder Tagelöhner Wittibe, dahinter eine große Klammer und die Bezeichnung „im Hacke“. Keine der sonst üblichen weitschweifigen Erklärungen. Das kennzeichnet die gesellschaftliche Stellung, welche diese Leute, die da vor und in der alten Stadtbefestigung wohnten, hatten.

Und nun die Namen:
Martin Scheuner, Tagelöhner; Andreas Schale, Tagelöhner; George Ludewig, Tagelöhner; George Jenschens, Tagelöhners Wittibe; Andreas Philipp Tagelöhner; Hans Patitzens Tagelöhners Wittibe; Hans Herbst, Tagelöhner; Urban/Herbst, Tagelöhner; diese beiden wohnten anscheinend in einer Hütte zusammen und waren unverheiratet, dies war außer der Norm. Junggesellentum war zu dieser Zeit verpönt und wurde immer irgendwie erklärt. Bei den Tagelöhnern war die anscheinend nicht nötig, das waren im üblichen Sinne „Kerle“, deshalb waren sie es wahrscheinlich nicht wert, dass der Pfarrer ihre Vornamen nannte. Dann wohnte da noch George Schusters Schützen Wittibe. Das war „das Volk“ welches im Hacke wohnte. Drei Witwen, anscheinend zwei Junggesellen und fünf Ehepaare, Kinder werden bei der Aufstellung leider nicht genannt. 15 Erwachsene Personen. Nicht neun, wie ich das letzte Mal berichtete.

Verarmte Bauern der umliegenden Dörfer werden wohl die meisten Bewohner im Hack gewesen sein. Wenn sie von ihren verschuldeten Höfen weichen mussten, war oft kein Platz für eine Ansiedlung in der Stadt. Manche werden auch von den Dörfern gewichen sein, um der kärglich bezahlten und schweren Arbeit zu entkommen. Vor den Mauern der befestigten Stadt war man in unsicheren Zeiten sicherer. Bei den Handwerksmeistern in der Stadt bestand größere Möglichkeit, sich als Tagelöhner etwas zu verdienen, als auf den Dörfern der Umgebung.

Und bei der Gefahr war man schneller hinter den schützenden Mauern der Stadt. Vielleicht wurden diese Leute von den Ratsherren der Stadt dort im Hack auch geduldet, weil sie bestimmte Arbeiten an der Stadtbefestigung durchführten. Dies müsste einmal später mit erforscht werden. Ab wann diese Leute im Hack mit zur Steuerzahlung herangezogen wurden, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Aber „abgeschieden“ und zurückgesetzt wurden sie noch lange.

„Die Stadt“ – das war die Hauptstraße und das was innerhalb der Mauer war, denn nur um einfacher Arbeiter und Handwerker willen, hatte die Stadt keine Veranlassung, der Abgeschiedenheit des Hack Abhilfe zu schaffen. Denn wollten sie in die Stadt, dann mussten sie um die „Vorstädte“ herum. Und so war es auch die selbstverständlichste Sache, dass man die Armenschule im Hack erbaute. Ein Chronist schreibt: „Sie war eine einfache Volksschule (wahrscheinlich einklassig). Sie stand hinter der Stadtbrauerei und wurde vom Röhrmeister Schönfeld bewohnt. Um 1880 soll diese Schule dem Feuer zum Opfer gefallen sein. Ihr letzter Lehrer war ein gewisser Drescher, der seinen Namen in der Tat hatte. Nach dem Brande wurden die Schüler in dem Obergeschoss der Pforte unterrichtet.

Im Jahre 1885 nahm die neue Schule in Mügeln als „Allgemeine Volksschule“ alle Mügelner Kinder auf. In der Armenschule waren die Kinder im „notwendigsten“ gelehrt worden, welche das Schulgeld an den Bürgerschulen nicht bezahlen konnten.

Zum Zugang des Hackes. Die Zufahrt ging nur über die Friedhofsstraße, oder über den Schlagwitzer Weg in den Hack (heute Döbelner Straße). Die Pforte am Markt wurde am 12. November 1891 abgerissen, und erst danach wurde diese Straße gebaut. Am 1. September 1880 war die Wolffsche Wirtschaft in der Lommatzscher Vorstadt abgebrannt. Am 21. August 1885 fasste der Stadtgemeinderath den „Beschluss“ die Baustelle aufzukaufen und dort eine Straße zum Hack zu erbauen (die heutige Karl-Liebknecht-Straße).

Am 22.3.1910 begann man mit dem Bau der verlängerten Bismarckstraße in Richtung Döbelner Straße. Das ist die heutige Rosa-Luxemburg-Straße. Diese Straßen müssen wir uns alle „wegdenken“ wenn wir uns ein Bild vom Hack vorstellen wollen, wie er noch vor reichlich einhundert Jahren bestand. Der Zugang direkt aus der Stadt ging nur zu Fuß durch die Feldgasse und durch die „Pforte“ am Markt. Diese war ein schmaler gewölbter Durchgang in einem Haus, wie wir ihn heute noch in manchen alten Städten sehen. Dabei muss dieser Durchgang auch nicht immer „sicher“ gewesen sein. Es kam wahrscheinlich oftmals auf den jeweiligen Besitzer an, denn in einer Anzeige im „Mügelner Anzeiger“ droht ein Besitzer mit Strafe, wenn Mügelner auf dem Wege nach ihren Gärten, den Durchgang durch sein Haus mit Handwagen benutzten.

Zur besseren Darstellung dieser Verhältnisse im Mügelner Hack, noch vor 100 bis 150 Jahren bringe ich hier einige Auszüge aus „Erinnerungen“ einiger Mügelner.

Ein Zeitgenosse von damals schreibt in seinen Erinnerungen u. a.: „Komme ich noch einmal auf die beschränkten Verkehrsverhältnisse des Hackes mit vorderen Stadt zurück, so denke ich daran, als Ende der siebziger Jahre einmal Artillerie in Mügeln einquartiert wurde.

Auf dem Markte wurden die Quartierzettel verteilt. Unser Kanonier, er hieß Ufer, hatte sein Pferd im Grundmannschen Seitengebäude, jetzt Kaufmann Reif, stehen (heute Modesalon am Markt). Zur Haustüre durfte er es nicht hereinführen, müde war er auch, und so ritt er eben kurzerhand durch die Pforte. Beinahe hätte er sich dabei den Kopf eingerannt, denn die Pforte war sehr niedrig. „Dieser Abschnitt aus dem „Mügelner Heimatblatt Sachsenland“ von 1929 soll uns hier genügen. Er soll uns zwei Sachen beweisen.
1. Die Abgeschiedenheit des Hackes, welche noch zu dieser Zeit bestand.
2. Dass die Pforte nicht nur eine Straßenbezeichnung war, sondern dass es sie gab, dass sie der einzige Durchgang von der Stadt in den Hack war.

Ein Anderer gibt uns Kunde aus jener Zeit und schreibt im „Sachsenland“ Nr. 6/1929 unter anderem über den Hack:
„ Damals war er von der Stadt fast vollständig abgeschlossen, abgeriegelt wie man jetzt so schön sagt. Er war eine Stadt für sich. Nur auf dem Umwege über Schmiede-Kurths oder Mehl-Schneiders war es mit dem Geschirr zu erreichen. Von der inneren Stadt war ein direkter Fuhrverkehr mit dem Hack nicht möglich. Für den Fußverkehr dienten die Pforte und die Feldgasse. Viele Bewohner hatten auch das Privileg, durch die an der Hauptstraße gelegenen Grundstücke zu gehen, um schnell nach der vorderen Stadt zu gelangen. (Schmiede Kurths später Schmiede Kubasch, Friedhofsstraße, Mehl-Schneiders heute Ecke Döbelner-/Hackstraße)

… Sonst wohnten im Hack nur Leute, die tagsüber ihrer Beschäftigung nachgehen mussten. Es herrschte deshalb dort immer eine Ruhe, die von dem geschäftigen Treiben, wie es in der Vorstadt zu bemerken war, sehr abstach. Kaum dass ein Wagen durch den Hack fuhr. Verträumt, nur durch das Hantieren der wenigen Handwerker unterbrochen. Kein Kaufladen und noch viel weniger ein Schaufenster war hier zu sehen.

Ein Bäcker oder Fleischer war im Hack zu finden. Auch bei der Zuleitung des Röhrwassers war er schlecht weggekommen. Ein Röhrtrog war dort nicht aufgestellt. Das Wasser holten die Bewohner aus den Röhrtrögen in der Hauptstraße und den Pumpen bei Nikolausens und bei Fickerts. Später wurde noch eine solche bei Petermanns gebaut. Beim Wasserholen bedienten sich noch viele Bewohner des Tragscheites, das über die Schulter gelegt wurde. Wie leicht konnte damals bei einem Brande Wassermangel entstehen. Aber über dem Hacke waltete ein gütiges Geschick. Soviel ich mich erinnern kann, hat es dort nicht gebrannt. Eine solche Abgeschlossenheit eines Stadtteiles von der übrigen Stadt, wie es damals bei dem Hacke der Fall war, wird es wohl selten gegeben haben…“

Diesen Sätzen ist nichts weiter beizufügen.

Dass die Hackbewohner ihre Abgeschlossenheit und ihre offensichtliche Vernachlässigung durch den Stadtrat, doch nicht als so „verträumt und idyllisch“ empfanden, beweist folgende Zuschrift im „Mügelner Wochenblatt“ vom 29. März 1848. Die Freiheitsbewegung der damaligen Zeit hatte auch die Hackbewohner ergriffen, sie hatten Mut bekommen und machten ihrem Herzen gehörig Luft durch folgendes „Eingesandt“:
„ Aus dem Hack. Da man, ohne daß der Streicher (gemeint ist der Zensor) sich hineinmengen darf, in der geeigneten Form etwas drucken lassen kann, so machen auch wir, die wir im Hacke wohnen, Gebrauch von dem köstlichen Gute der Preßfreitheit und veröffentlichen, was wir schon lange auf dem Herzen hatten. Von jeher sind wir von unserer Regierung, d. H. von unserem Stadtrate, sehr stiefmütterlich behandelt worden. Wir haben weder Pflaster, noch Straßenbeleuchtung wie unsere übrigen Mitbürger, und doch müssen wie ebenso gut wie jene zur Kämmereikasse, aus welcher der Pflasterbau und die Straßenbeleuchtung bestritten wird, unsere Beiträge entrichten. Wenn nun der Herr Bauminister unseres kleinen Staates unseren Hack einmal zu besichtigen die Gewohnheit haben und bei der nunmehr eingetretenen trockenen Witterung wenigstens den Schmutz, welcher bergehoch liegt, herausschaffen lassen möchten. Es sind hierzu höchstens 2 Tage Arbeit erforderlich, wenn nämlich der Herr Straßenbaukondukteur mit seinen Leuten zur richtigen Zeit des Morgens und Mittags sich einstellt, etwas rascher und flinker wie gewöhnlich arbeitet und die Pfeife nicht so oft ausgehen läßt … Auch wir wollen unsere Zugeständnisse, - darum Straßenpflaster und Straßenbeleuchtung den Hackbewohnern.“

Auf ihr Pflaster und ihre Straßenbeleuchtung mussten die Hackbewohner aber noch viele Jahre warten.

Am 7.3.1905 begann man mit der Pflasterung des Hack. Vorher waren nur Teile und auch noch zum Teil mit Feldsteinen gepflastert gewesen. Am 1.2.1906 musste ein Teil des Hackes wieder neu gepflastert werden, da der Hauptkeller der Stadt eingebrochen war.

In den ehemaligen tiefen Gräben des hack waren vor Jahrhunderten große Stadtkeller angelegt worden. Durch die größere Belastung der „neuen Zeit“ war wahrscheinlich ein Teil davon eingestürzt. Noch heute befinden sich in dieser Gegend, auch innerhalb der ehemaligen Stadtmauer weitverzweigte Kelleranlagen.

Doch davon ein anderes Mal mehr.
Günter Thiele (Mügelner Anzeiger 1992)