Es war einmal – Mügeln
mit Gewerbevielfalt
und regem gesellschaftlichen Leben
Von Frau Johanna Müller aus Oetzsch erhielten wir nachstehenden
Artikel, der recht anschaulich das geschäftliche und gesellschaftliche
Leben in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts
beschreibt.
Ihr Artikel im Mügelner Tageblatt – Mügeln in
den Jahren 1872 – 1893 – hat mich sehr interessiert,
so dass ich mir das Heimatfestbuch von 1925 hervorgesucht habe,
was von Oberlehrer Maximilian Weber, der zugleich Kantor war, geschrieben
wurde. Ich selbst bin noch bei Oberlehrer Weber in den Gesangsunterricht
gegangen. Er zählte darin auf, welche und wie viel Gewerbetreibende
sich damals in Mügeln befanden. Manche sind eingegangen oder
fielen der Inflation und den Nachwehen des Krieges zum Opfer, andere
mussten altershalber aufgegeben werden. Und so stellte sich die
Situation 1925 dar:
16 Gelegenheiten zum Einkehren, das heißt 14 Gasthäuser,
3 davon mit modernen Sälen und 2 Konditoreien mit Bierausschank
10 Kolonialwarenhandlungen
12 Schneidermeister
8 Schneidermeisterinnen
(Mügelner Maßschneiderei war sogar in Dresden bekannt)
13 Bäcker (jeder Bäcker hatte eine besondere Spezialität)
13 Schuhmachermeister
9 Geschäfte handelten mit Konfektion
8 Hausschlächter
7 Handelsfleischer
7 Läden für landwirtschaftliche Produkte
5 Sattlermeister, die auch auf dem Lande an Ort und Stelle arbeiteten
5 Friseure, die gleichzeitig Puppen reparierten, in den Krankhäusern
Dienst taten oder aber auch bei Theateraufführungen das Schminken übernahmen
5 Baumeister, davon 4 Baugeschäfte
4 Schlossermeister
4 Klempnermeister
4 Installationsmeister
4 Fahrrad- und Nähmaschinenhändler
Obstgroßhändler und Pferdehändler
4 Läden für Galanterie (Schmuck und Putzwaren) und Porzellan
4 tüchtige Ärzte
5 Tischler
3 Glasermeister
3 Malermeister
3 Uhrmacher
3 Schmiede
3 Kohlen- und Futtermittelhandlungen
3 Gärtnereien
3 Schokoladensondergeschäfte
3 Buchhändler mit Buchbindergewerbe
3 Schiefer- und Dachdeckermeister
3 Böttcher
3 Zigarrenfabrikanten
3 Zahnärzte
3 Kürschnermeister
2 Delikatesshandlungen
3 Botenfuhrleute
Drogerien, Banken, Spediteure, Fuhrleute, Alteisenhändler,
Krankenkassen
17 Waschfrauen
8 Wäscherollen.
Es waren aber auch viele ausgefallenere Berufsgruppen in Mügeln
ansässig.
Darunter zählten:
1 Scherenschleifer
1 Stadtmüller
1 Gerber
1 Fellhändler (könnten wir heute wieder gebrauchen)
1 Stadtbrauer
1 Korbmacher
1 Korbmöbelspezialgeschäft
1 Fotografen
1 Bildhauer
1 Büchsenmacher
1 Musikdirektor
1 Apotheker
1 Kupferschmied
1 Lederkünstler
1 Samenhandlung
1 Tierarzt
1 Kunstgewerbler
und 1 Warenhaus.
An 39 Stellen konnte man Zigarren und Zigaretten kaufen!
3256 Einwohner hatte Mügeln damals und sie kauften sicherlich
auch in ihrem Städtchen ein.
In diesem Zusammenhang kann ich mich an 2 Männer erinnern,
die durch Heimarbeit ihr Geld verdienten. Da gab es einen Herrn
Pönitz. Er hatte im 1. Weltkrieg ein Bein verloren und er
wickelte Zigarren für die Leisniger Zigarrenfabrik in Heimarbeit.
Im Haus Pönitz in der Mühlgasse hatte er am großen
Fenster im Parterre seine Werkstatt. Wir Kinder schauten zu, wenn
er das Fenster offen hatte und wenn er einmal einen besonders guten
Tag hatte, durften wir auch mal ein Zigarre wickeln, die natürlich
zu unserem Leidwesen immer wieder zusammenfiel und bei ihm sah
alles so leicht aus.
Ihm gegenüber wohnte der Pantoffelmacher Gasch. Das kleine
Häuschen, was ja noch steht und sicherlich nur noch als Waschhaus
genutzt wird, bewohnte er mit seiner Familie. Herr Gasch saß in
einem kleinen Raum, rechts neben der Haustür und machte Kordpantoffeln.
Wenn wir schon einmal da hinein durften, dann bestaunten wir die
vielen Utensilien, die zu solchen Pantoffeln, die er aus Kord,
Samt und festem Stoff herstellte, gehörten. Es waren farbig
gutaussehende Pantoffeln. Alles wurde per Hand vernäht. Doch
im Zuge der Technisierung kaufte man Pantoffeln aus der Hausschuhfabrik,
die wesentlich billiger waren, sicherlich aber nicht so lange hielten.
Diese Arbeit war ein mühsames Brotverdienen und hat die Familie
Gasch nie zu Reichtum gebracht.
In Mügeln gab es auch jede Menge Vereine. Die Ältesten
sind sicherlich die Schützen, die Kantorei und die Feuerwehr.
Lasst mich aufzählen, was es alles gab: Sächsischer Militärverein,
Deutsche Turnerschaft, Bienenzüchterverein, Geflügelzüchter,
Gesellschaft Fidelio, Froschklub Aurora, Gastwirtschaftsverein,
Zweigkonferenz der Lehrer und Umgebung, Arbeiter-, Turn- und Sportverein,
Stenographenverein, Gesellschaft Casino, Radfahrerverein „Frisch
auf“, Verband deutscher Handlungsgehilfen, Handelsschulverein,
Kaninchenzüchterverein, Allg. deutscher Gewerkschaftsbund,
Sanitätskolonne, Verein für das Deutschtum im Ausland,
Verein für Heimatkunde Mügeln, Stadt und Land, Verband
des deutschen Verkehrspersonals OG Mügeln, Deutschnationaler
Handlungsgehilfenbund, Chorvereinigung Mügeln, Ballspielklub
Mügeln (Tennisbund), Männerchor, Reichsbund der Kriegsbeschädigten
Mügeln, Fleischer- und Bäckergesellenverein Mügeln,
179er und 139er Reitervereinigung, Stahlhelm, Frauenverein, Kirchenchor,
Großmütterchenverein, Gustav-Adolf-Verein, 18 Kegelklubs
und nicht zuletzt die Kartenspieler. Da gäbe es schon über
manche seltsame Körper-, Bein- und Armverdrehungen, sowie
flotte Aussprüche zu berichten.
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