Vom „Frönerstall“ zu Mügeln
Gegenüber dem so genannten Kellerhaus, links am Wege nach
Berntitz steht ein unscheinbarer Geräteschuppen, früher
vom Volksgut umgebaut und genutzt, so dass seine ursprünglichen
Formen als ehemaliger Stall – mit Scheune, vielleicht mit
Strohdach in alter Zeit, kaum noch erkennbar sind. Es stand hier
der ehemalige Frönerstall. Dieser Ort mag manchen Bauernfluch
gehört und manch geballte Faust gegen das Schloss gesehen
haben, eher der Frönerstall im Jahre 1839 aufhörte zu
bestehen.
Was hat es mit diesem Frönerstall für eine Bewandtnis?
Im Zuge der Eroberungen des von den Sorben (Wenden), bewohnten
Gebietes bis zur Elbe durch Heinrich I. (929 Eroberung der Sorbenfestung
Meißens) sowie durch seinen Sohn Otto I., der späteren
Christianisierung der slawischen Gebiete und Entwicklung der Mark
Meißen kam es auch zu einer starken feudalen Unterdrückung
der ehemals sorbischen Bevölkerung durch die eingesetzten
deutschen Ritter und Kirchenfürsten. Dies betraf aber auch
die später eingewanderten Bauern aus den Gebieten der Thüringer,
Franken und Sachsen (dem heutigen Niedersachsen). Während
die ehemals freien Sorben sofort für Arbeitsleistungen auf
den entstandenen Rittersitzen und Edelhöfen als nun mehr Unfreie
(oft Leibeigene) herangezogen und gezwungen wurden, gerieten auch
später die ehemals freien Bauern oft durch die verschiedensten
Umstände (Missernten, Krankheit, Verschuldung usw.) im Laufe
der Jahrhunderte mehr und mehr in die Abhängigkeit der feudalen
Grundherren. Eine der Hauptursachen war, dass die eingewanderten
deutschen Bauern oft für ihre vom Grundherren erhaltenen Ländereien
(Hufen), für die sie die Erlaubnis zur Bewirtschaftung oder
zur Rodung des Waldes erhielten, aber dafür jährliche
Erbzinsen, Naturalabgaben, Hof-, Hand- und Gespanndienste usw.
leisten mussten.
Diese Arbeitsverpflichtungen (im späteren Mittelalter tauchte
dafür der Begriff fronen auf) sowie die Naturalabgaben nahmen
immer höhere Ausmaße an, so dass oft der Bauer nur noch
für seinen Grundherren sich plagen musste und kaum Zeit hatte,
seine eigene Wirtschaft zu besorgen. Zuerst musste das Getreide
oder das Heu auf dem Herrenhof besorgt werden, wenn auch das eigene
auf dem Halm schon verfaulte. Für die Grundherren (Kurfürst,
Rittergutsbesitzer, Kirchenfürsten, Klöster usw.) waren
die Zinsdörfer mit den hörigen und leibeigenen Bauern
eine gute Einnahmequelle. Deshalb strebten sie danach, immer mehr
Bauern, ja ganze Dörfer in ihre Abhängigkeit zu bringen.
Oft kam es vor – und dies noch bis ins vorige Jahrhundert
hinein, dass in manchen Dörfern die Bauern und Häusler
(„Pferdner und Gärtner“) unterschiedlichen Grundherren
zinsen mussten. So z. B. mussten die Zeichaer Bauern an vier verschiedene
Rittergüter zinsen, Niedergoseln, Wetitz und Mahris gehörten
je drei Rittergüter, während Grauschwitz dem Kloster
Sornzig zinspflichtig war.
Durch Schenkungen reicher Grundherren und kluge Politik der Kirchen
und Klöster (Bischöfe von Meißen, Meißner
Domkapitel, verschiedener Klöster der Umgebung wie „Altzella
Buch Sornzig“ u. a.) mehrten sich auch deren Grundeigentum
und der Einfluss auf die dörflich bäuerliche, aber auch
städtische Entwicklung.
Fluch und Hass dem Frondienst
Nachdem schon im 10. Jahrhundert die Meißner Bischöfe
auch in unserer Mügelner Gegend immer mehr an Einfluss gewannen
und mehr und mehr Fuß fassten, gerieten auch die Bauern der
umliegenden Dörfer in die Abhängigkeit ihres bischöflichen
Grundherren auf dem Mügelner Schloss und entstandenem Gutshof.
Der bischöfliche Besitz
Der Mügelner Chronist Senz in seiner „Geschichte der
Stadt Mügeln“ nennt einige Beispiele, wann und welche
Dörfer der Umgebung in bischöflichen Besitz kamen. Zu
den ältesten Müglischen Dörfern zählt er Schlagwitz
und Nebitzschen. Dazu kam 1090 die gesamte „Jahnische Pflege“ mit
ihren Dörfern in der furchtbaren Jahna-Aue, 1276 das Dorf
Kiebitz, 1453 das Rittergut Crellenhain, welches durch Tausch mit
dem bischöflichen Besitz Goselitz (bei Zschaitz) an das Müglische
Areal kam, 1455 das Vorwerk Berntitz und Schlatitz und im Laufe
der zeit weitere Erwerbe und Zukäufe.
In Folge davon war, dass das müglische bischöfliche
ländliche Besitztum kein einheitliches, geschlossenes Gebiet
mit seinen Untertanen war, sondern sich weithin in einer „Streulage“ erstreckte.
„Wenn auch im Laufe der Jahrhunderte die Besitzer des Mügelner
Schlosses und den dazugehörigen Gutes wechselten, ob es nach
den Bischöfen dann die sächsischen Kurfürsten, gräfliche
Pächter oder der sächsische Staat („Kammergut“)
waren: Die Lasten der dem Schloss zu Zins, Hof- und Spanndienst
verpflichteten Bauern blieben bis weit ins vorige Jahrhundert hinein.
Die weiten Entfernungen, die die zinspflichtigen Bauern zur Arbeit
am Gutshofe zurücklegen mussten, kosteten viel Zeit und Mühe,
besonders wenn die Anspänner von Jahna, Schmorren, Kiebitz,
Schlagwitz, Nebitzschen oder Seelitz zur Arbeit aufs Schloss gerufen
wurden. Um ihnen den täglichen weiten Hin- und Rückweg
während der Acker- oder Erntetage zur ersparen, wurde der „Frönerstall“ erbaut.
Am späten Abend stellten die Anspänner ihre Pferde oder
Ochsen dort ein und übernachteten selbst darin auf einem Bund
Stroh, ehe sie die Gutsglocke beim ersten Hahnenschrei am Morgen
wieder zur Feldarbeit rief.
Mit Ruten gegen Frösche
Sehr wahrscheinlich ist, dass sich hier auch die acht Gärtner
aus Kiebitz, die jährlich zweimal die „Kiebitzwiese“ (heute
Feuerwehrplatz) hauen mussten, ihr Nachtlager suchten. Die Lasten
der harten Fronarbeit stiegen im Laufe der Jahrhunderte von Generation
zu Generation und nahmen auf den Schlössern, Adelshöfen
und Rittergütern oft die ausgefallensten Arten an. So befahl
einst ein französischer Graf seinem Fronbauern des Nachts
mit Ruten in den Schlossteich zu schlagen, weil ihn das Quaken
der Frösche angeblich bei der Nachtruhe störe.
Bekannt sind auch die Pflichten der Abgabe des „Besthauptes“ – der
besten Kuh (oft war es dann die letzte des Hofes), wenn der Bauer
gestorben war. Auf manchen Edelhöfen bestand ja noch lange
das „Recht der ersten Nacht“ (die Braut musste die
Hochzeitsnacht mit ihrem Grundherren verbringen, der ja auch erst
die Erlaubnis zur Heirat geben musste – sie auch Mozartoper „Die
Hochzeit des Figaro“). Wieviel Hass gegen die Frondienste
und die Grundherren staute sich oft über lange Zeit an, wieviel
Tränen mögen geflossen sein und mancher Fluch und geballte
Faust zum Himmel gestiegen sein, wenn der Fronvogt zur Fronarbeit
rief.
Kein Wunder, wenn es auch zu Aufsässigkeiten der Fronbauern
kam, die aber oft durch die harte Gerichtsbarkeit, die ja auch
vom Grundherren ausgeübt wurde, grausam unterdrückt wurden.
Auch die größeren Bauernunruhen, z. B. der große
Deutsche Bauernkrieg 1525 unter Thomas Müntzer in Thüringen
und Süddeutschland scheiterten an der Uneinigkeit und Unorganisiertheit
der Bauernhaufen.
Schloss Ruhetal wurde Kammergut
Die größten Bauernunruhen in unserer Gegend sah das
Jahr 1790. Der Funke der großen Französischen Revolution
von 1789 war auch nach Deutschland übergesprungen. Die deutschen
Fürsten erschraken, der Adel bangte, die Bauern horteten auf.
Dazu kam, dass das Jahr b1790 in Sachsen eine große Missernte
und Trockenheit brachte. Die Getreidepreise stiegen, große
Not zog in die Bauernstuben ein, als das letzte Vieh verkauft werden
musste.
Trotzdem bestanden die Gutsherren auf Erfüllung der Untertanenpflichten.
Da ergrimmten die Bauern und griffen zu ihren bäuerlichen
Waffen und forderten die Aufhebung der Frondienste und Gutsherrschaften.
Bald standen große Teile der Dörfer um Lommatzsch,
Großenhain, Riesa, Dahlen, Mügeln, Nossen, Wilsdruff
in heller Aufruhr. Nur durch den Einsatz von Militär, Verhaftung
etlicher Rädelsführer und Versprechungen konnte die sächsische
Regierung des Aufstandes Herr werden.
Es dauerte noch bis in das Jahr 1830, ehe, ausgelöst durch
bürgerliche Unruhen in Leipzig und Dresden (wieder inspiriert
durch die Juli-Revolution in Frankreich), sich das sächsische
Königshaus und die Regierung zu notwendigen Reformen entschließen
konnten. Grundlage dabei war, dass endlich dem Lande eine Verfassung
(4. September 1831) gegeben wurde. Mehrere Gesetze (17. März
1832) regelten nun auch endlich die Aufhebung des Gesindezwanges,
der Fronen und Servituten. Der so befreite Bauernstand erhielt
in der „Landgemeindeordnung“ (1838) die Selbstverwaltung
seiner Angelegenheiten, wobei aber die „Patrimonial- und
Stadtgerichte“ nicht beseitigt wurden.
Die Ablösung der Frondienste und Realleistungen mit den Grundherren
sollten durch Ausgleichszahlungen der Bauern an die Gutsherrschaften
geregelt werden. Sie zogen sich durch langwierige Verhandlungen
noch über Jahre hin. Das Schloss „Ruhetal“ mit
den dazugehörigen Ländereien war nun endgültig durch
die neue Verfassung in den Besitz des Sächsischen Staates übergegangen
und unterstand nun direkt der zweiten Sächsischen Länderkammer
(eine „Volksvertretung“ bestehend aus 20 ritterschaftlichen,
20 städtischen und 25 bäuerlichen Abgeordneten gewählt
auf sechs Jahre). Seit dieser Zeit existiert nun eigentlich erst
die Bezeichnung „Kammergut“. Erst am 25. März
1839 unterschrieben der Bevollmächtigte des „Kammergutes“ und
die betroffenen Bauern („Anspänner“) die Ablösungsverhandlungen.
Es existiert ein Verhandlungsprotokoll mit den Namen der „Anspänner“,
ihre Verpflichtungen für den Gutshof und die nun dafür
zu zahlenden jährlichen Ablösesummen (in Thalern!).
Am 1. Januar 1838 fielen nun erstmals die Hof- und Spanndienste
weg und mit diesem Datum begannen die festgelegten Ablöserenten
zu laufen. Sie waren quartalsweise jeden Jahres zu zahlen, wobei
es aber auch jedem „Anspänner“ freigestellt war,
(sofern er dazu in der Lage war und die nötigen Taler besaß)
sie sofort durch Zahlung des 25fachen Betrages zu tilgen! Also
hatten demnach die ehemals fronpflichtigen Bauern 25 Jahre lang
noch an das Kammergut zu zahlen. Das geschah bis weit in die 60er
Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein.
Im Frühjahr des Jahres 1838 blieben nun erstmals seit Jahrhunderten
die „Anspänner“ aus und das Kammergut musste nun
mit eigenen Geschirren und eingestellten Tagelöhnern die umfangreichen
landwirtschaftlichen Arbeiten selbst erledigen.
Damit verbunden war, als nun die Bauern aus ihren Fesseln befreit
waren, in den folgenden Jahren ein gewaltiger Aufschwung in der
Landwirtschaft zu verzeichnen, besonders durch den folgenden Übergang
von der alten Dreifelderwirtschaft zur allgemeinen Fruchtwechselwirtschaft
und dem Einsatz besserer landwirtschaftlicher Geräte. Mit
dem Ausbleiben der Anspänner hatte auch der „Frönerstall“ als Übernachtungsstätte
und Unterkunft für Tier und Mensch ausgedient. Sein Name blieb
noch lange erhalten, ist aber heute nur noch bei älteren Bürgern
oder Heimatfreunden bekannt.
Wieder erzählten Mauerreste und ein historischer Ort, der
die Geschichte unseres Städteleins mitprägte, von längst
vergangenen Zeiten, die aber kein humorvolles Märchen waren.
Es war einmal…
Siegfried Seltmann (Rund um den Collm, 28.4.97)
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