Online-Chronik der Stadt Mügeln
 
  Die Bedeutung der Eisenbahn


Der Anschluß Mügelns an das Eisenbahnnetz begegnete bedeutenden Schwierigkeiten und zog sich ziemlich zwei Jahrzehnte hin. Das war ein Zeitraum, reich an Enttäuschungen und reich an Verlusten, die nie wieder eingebracht werden können. Zweimal wurde, 1866 und 1870, die Verbindung mit der Leipzig – Dresdner Eisenbahn angestrebt und mit Tatkraft wurden die nötigen Vorarbeiten in Angriff genommen. Jedesmal aber machte der bald darauf ausbrechende Krieg der weiteren Ausführung des Planes ein Ende. Damals hätte Mügeln eine normalspurige Bahnverbindung erhalten. 1872 nahm sich der Staat der Bahnangelegenheit an und legte dem Landtage gleich drei Eisenbahnprojekte vor, die Mügeln berühren sollten, nämlich Meißen – Mügeln – Leipzig, Döbeln – Mügeln – Torgau und Döbeln – Mügeln – Oschatz – Strehla. Aber keines ging in Erfüllung. Erst 10 Jahre später wurde der Bau der Linie Oschatz – Mügeln – Döbeln beschlossen und ein Jahr darauf begonnen. Am 07. Januar 1885 wurde die letzte Teilstrecke eröffnet. Am 01. November 1888 war die Linie Mügeln – Wermsdorf – Nerchau – Trebsen vollendet und am 03. August 1903 die Schleppbahn Nebitzschen – Kroptewitz.
In den ersten Jahren war der Güterverkehr sehr mäßig, so dass die Verzinsung des Baukapitals von 1 747 173,34 Mark mit nur 0,772% sich als die geringste unter den damaligen Schmalspurbahnen erwies. Erst mit der Anlage industrieller Unternehmungen in und um Mügeln schnellte der Güteraustausch gewaltig empor. Daran sind aber auch der Aufschwung der Landwirtschaft und die neuen Bedürfnisse einer vollständig veränderten Zeit mitbeteiligt. Die folgende Zusammenstellung gibt ein Bild der Verkehrsentwicklung auf der Linie Oschatz – Mügeln – Döbeln. Für das Jahr 1889 sind die Haltestellen Nebitzschen, Glossen und Mahlis, für 1911 außerdem Altmügeln und die Schleppbahn Nebitzschen mit hinzugerechnet worden, weil die genannten Orte ursprünglich in den Verkehrsbereich des Bahnhofes Mügeln gehörten.

  1885 1886 1889 1911
Reisende 122 895 223 740 234 033 414 699
Güterversand und –empfang
In Tonnen
39 383 44 820 57 774 212 453
Vieh in Wagenladungen 767 393 695 1 100
Kohlen in Tonnen   11 345 16 893 50 730


Die Zahl der Reisenden 1889 bezieht sich mit auf die Linie Mügeln – Nerchau – Trebsen, für 1911 außerdem auch auf die Linie Oschatz – Strehla.

Keine allzugroße Steigerung weist die Zahl der Reisenden auf, weil die Bevölkerungsziffer ziemlich gleichmäßig geblieben ist und unsere Gegend keine Anziehungspunkte für Wanderlustige bietet. Diese Zahlen sind also der Ausdruck für den natürlichen, in den wirtschaftlichen Verhältnissen begründeten Verkehr. Dagegen ist der Güterverkehr auf das Vierfache, der Kohlenbedarf auf das Dreifache angewachsen. Die Zunahme im Viehtransport, die fast nur angekommenes Vieh betrifft, hat ihren Grund in der veränderten Viehhaltung. Eine Folge der Maul- und Klauenseuche ist die Abnahme der Verladungsziffer im Jahre 1911 gegenüber der von 1910, die 1498 betrug.
Das bedeutende Anwachsen des Verkehrs spricht sich auch in der Vermehrung der Beamten und Arbeiter und in der Vergrößerung des Wagenparks aus. Bei Eröffnung des Bahnhofes Mügeln waren 5 Beamte (Bahnverwalter, Reservelokomotivführer und Schaffner) und 12 Nichtbeamte vorhanden. Gegenwärtig werden 32 Beamte, 29 ständige Arbeiter und 17 Streckenarbeiter gezählt. Die Transportmittel umfassen jetzt (die entsprechenden Zahlen von 1886 sind in Klammern gesetzt): 8 (4) Lokomotiven, außerdem 3 in Großbauchlitz und 1 in Oschatz, 10 (2) Zugführerwagen, 20(10) zweifache und 10 (-) vierfache Personenwagen, 57 (10) bedeckte Güterwagen zu zwei und 44 (-) zu vier Achsen, 382 (121) offene Güterwagen zu zwei und 42 (-) zu vier Achsen; außerdem 1 Bahnpostwagen, 6 Paar Rollböcke und 52 vierachsige und 2 sechsachsige Rollfahrzeuge.
Ü ber den Verkehr auf dem Bahnhofe Mügeln unterrichten die beiden folgenden Tabellen.

  1886 1889 1911
Güterempfang &
– Versand in Tonnen
16 618 16 091 47 854
Bearbeitete Frachtbriefe
u.s.w. (St.)
18 794 20 635 54 763
Vieh in Wagenladungen 384 640 874
Kohlen in Tonnen 6 860 6 496 9 911

Hierbei ist zu beachten, dass die Zahlen für 1889 und 1911 einer Ergänzung bedürfen, indem der Verkehr der schon oben erwähnten Orte, die den Bahnhof Mügeln entlasteten, hinzugerechnet werden muss. Dann sieht die Sache so aus:

 

  1886 1889 1911
Güterempfang und –Versand in Tonnen 16 618 24 381 140 826
Bearbeitete Frachtbriefe u. s. w. (St.) 18 794 32 517 75 515
Kohlen in Tonnen 6 860 8 102 35 291

 

Vergleicht man die Ziffern für Versand und Empfang bei den einzelnen Stationen, so findet man, dass überall dort, wo die Industrie nicht in Frage kommt, beide Zahlen sich sehr nahe kommen, ja der Versand, der sich hauptsächlich auf landwirtschaftliche Produkte erstreckt, den Empfang übertrifft. So ist es in Glossen, Mahlis, Schweta, Görlitz, Nebitzschen. Für den Empfang kommt hier wesentlich Kohle in Betracht. Wo aber Porzellanerde, Kalk oder Steine gewonnen und verschickt werden, ist natürlich die Versandziffer bedeutend höher. In Kemmlitz stand im Jahre 1911 einem Versand von 29 308 Tonnen ein Empfang von 5258 Tonnen (davon allein 3975 Tonnen Kohlen) gegenüber, in Schrebitz 4472 Tonnen Versand und 2322 t Empfang, in Kreischa 6828 t gegen2020 t.
Den bedeutendsten Güterverkehr zeigen Mügeln mit 47 854 t, Kemmlitz mit 34 129 t und Altmügeln mit 33 129 t. Allerdings bezieht sich die letztere Ziffer wohl ausschließlich auf die Stadt Mügeln, so dass streng genommen der Güteraustausch für Mügeln 80 983 t beträgt. In weitem Abstande folgen Naundorf mit 7416 t, Börtewitz mit 7167 t, Schrebitz mit 6794 t, Mahlis mit 6511 t und Töllschütz mit 5759 t. Den geringsten Güterverkehr hatte Tronitz 1339 t. Orte mit vermindertem Verkehr sind Görlitz, das 1886 noch 4035 t, 1911 aber nur 2952 t aufweist, und Nebitzschen, das von 4590 t im Jahre 1886 auf 4254 t 1911 zurücksank. Die Ursachen liegen bei Görlitz in der Einrichtung der Haltestelle Lüttnitz und im verminderten Kalkversand, bei Nebitzschen in der Eröffnung der Schleppbahn nach Kroptewitz.
Im Kohlenempfang steht Altmügeln mit 17 964 t an der Spitze; dann reihen sich Mügeln mit 9913 t, Kemmlitz mit 3975 t, Naundorf mit 2459 t und Schrebitz mit 1594 t an. An dem in Tabelle 1 erwähnten Kohlenbedarf von 50 730 t, sind Steinkohlen mit 2874 t, Braunkohlen, Briketts eingeschlossen, mit 47 956 t, böhmische Braunkohlen allein mit 10 428 t beteiligt. Die Steinkohlen kommen zumeist aus dem Dresdner und Zwickauer Revier, einige kleinere Posten aus Schlesien. Die Briketts liefert in erster Linie Altenburg, dann Sachsen und zuletzt Preußen.
Die vorgeführten Zahlengruppen erleichtern einen Blick in das vielfach verschlungene Gewebe der wirtschaftlichen Entwicklung unsrer Gegend in den letzten Jahrzehnten. Deutlich erkennbar ist der Wert guter, zeitgemäßer Verkehrswege für Landwirtschaft, Viehzucht, Obst- und Gartenbau; denn gerade hier haben seit dem Bestehen der Bahn eine verhältnismäßig starke Steigerung im Versand ihrer Erzeugnisse erfahren, die eine Vervollkommnung ihrer Betriebsweisen voraussetzt. Noch mehr regt allerdings das Vorhandensein von Bodenschätzen den Güteraustausch an. Der erleichterte Absatz ermöglicht natürlich eine bessere Verwertung der Erzeugnisse. Das kommt wieder allen Schichten der Bevölkerung zugute und äußert sich in einer Besserung der wirtschaftlichen Lage des einzelnen.
(Kurt Heinsius um 1912)