Wer
als flüchtiger
Wanderer, als gemächlicher Ausflügler, als rüstiger
Sportgänger, deutscher Sänger oder Turner Mügeln berührt,
rühmt wohl stets das freundliche Aussehen, die sichtliche Wohlhabenheit
und die wohlfeile Gastfreundschaft dieser Stadt. Das ist für
die Mügelner zwar recht ehrenvoll, erschöpft aber bei weitem
nicht den Quell seiner Tugenden. Mügeln besitzt Reize, die verborgen
hinter dem Schleier der Vergangenheit ruhen und sich erst dann zeigen,
wenn man ihn mit heiliger Scheu und Verständnis lüftet.
Folge mir! Es soll ein Eindruck in dir entstehen, wie du ihn nicht
vermutet und der dir Achtung vor dem Städtchen abnötigt.
Das bedeutet durchaus nicht, daß die Errungenschaften der
modernen Zeit einen Bogen um die ehemaligen Stadtmauern gemacht
hätten, wie einst durchziehende Heeresverbände der Fürsten.
Ganz im Gegenteil. Sie hat Schritt gehalten mit dem Gang der Zeit
und es steht ihr gut. Wie oft hat sie ihr Kleid gewechselt? Nicht
alles läßt sich rekonstruieren, denn nicht alles blieb überliefert.
Auf viele Ansichten müssen wir heute verzichten, wenn wir
von einer Tausendjährigen berichten. In Wort und in Bild.
Eines aber ist ihr über tausend Jahre erhalten geblieben.
Die Seele der Stadt, die sich nicht nur in der Architektur, nicht
nur in der Landschaft sondern vor allem im Auge des Besuchers offenbart
hat sie sich erhalten, diese junge alte Stadt in der Döllnitzaue. Betrachtet man sich die neue Bekanntschaft oder die Altvertraute
aber einmal mit anderen Augen als denen des Ökonomen oder
Stadtplaners, so ist unschwer zu erkennen, daß noch immer
ein Hauch dieser mittelalterlichen Kindheit vorhanden ist.
Gönnen wir uns einfach, sagen wir nach der Festmesse an Heiligabend,
ein paar Augenblicke und lenken unseren Schritt beim Klang der
ausläutenden Glocken in Richtung Altmarkt, erhaschen einen
Blick auf den großen Weihnachtsbaum, der früher den
Balkon des Rathauses zierte, seit einigen Jahren aber einen neuen
Stammplatz auf dem Markt fand und verweilen kurz an der Stelle,
wo früher ein Brunnen die Wasser vom Heilborn in die Stadt
gebracht und das Markttreiben seinen Anfang genommen hat. Das gelbliche
Spektrum der Stadtbeleuchtung vermittelt einen Hauch von Gaslicht
oder gar Fackelschein und läßt für einen Moment
sogar den Laternenanzünder vermissen. Ein plötzlich herbeieilender
Reisender zu Pferd oder eine vorbeifahrende Kutsche würden
uns gar nicht so fremd vorkommen, ebensowenig wie der unermüdliche
Stundenschlag vom Kirchturm, der erst seit wenigen Jahren das Echo
der Schloßturmuhr vermissen läßt. Kein Wunder,
denn die Gesichter der Häuser im Stadtkern tragen trotz Modernisierung
und Sanierung noch immer grundlegende Züge aus der Zeit ihrer
Erbauung. Ein Zeichen, wie behutsam und verantwortungsbewußt
in den Jahren der Erneuerung vorgegangen wurde.
Sie ist zur Ruhe gekommen für ein paar Stunden und blickt
uns nun gleichsam aus hellen Fensteraugen entgegen…
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