Online-Chronik der Stadt Mügeln
 
Mügelner Molkerei gekauft, um zu schließen

Spätestens seit November 1991, als über Nacht die Molkerei Mügeln, Oschatz, Dahlen und Torgau schließen mussten, ist „Müller-Milch“ nicht nur aus der Werbung ein Begriff. Die Schließungsaktionen schlugen damals hohe Wellen, waren doch immerhin 250 Menschen davon betroffen. Zudem in einer Gegend, in der die Arbeitslosenquote weit über dem Durchschnitt von Sachsen liegt.
Ist inzwischen auch wieder etwas Zeit ins Land gegangen, lohnt es sich trotzdem, noch mal hinter die Kulissen zu schauen und einiges über die Praktiken der Molkerei Alois Müller zu erfahren.
Das Unternehmen ist Anwärter auf rund 70 Millionen Mark vom Landtag Sachsen für den Bau einer neuen Großmolkerei. Daneben bekommen diese Mittel drei weitere Molkereien, alle mit über 50 Prozent Beteiligung westlicher Firmen, sowie eine Spezialitätenkäserei. Die 24 noch bestehenden sächsischen Molkereien gehen leer aus …
Aber dafür waren die Mittel im Grunde nicht dafür gedacht, u n s e r e Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und nicht die Umsätze der westlichen Firmen zu erhöhen? Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Molkereistruktur auf den kommenden EG-Markt eingestellt werden muss. Doch schon in den Altbundesländern ist nachweisbar, dass Konzentration der Molkereien zu niedrigen Milchauszahlungspreisen führt. Außerdem ist die Effektivität vom Transportaufwand abhängig, also durch Konzentration nicht ins Unendliche steigerbar. Und für Betriebe, die Flaschenmilch produzieren, ist auch nichts übrig. Interessant ist zu verfolgen, wie die Firma Müller-Milch den sächsischen Markt eroberte. Zum Beispiel wurden Milchlieferanten gebunden, indem die alte Molkereigenossenschaft den Bauern einige Wochen die Milch nicht zahlen durfte, diese dann mit dem Defizit unter Druck setzt und sie zwang, die Lieferungsverträge für Müller-Milch zu unterschreiben. Die Milch wird jetzt für 55 Pfennig pro Liter abzüglich drei Pfennig Transportkosten aufgekauft und für 76 Pfennig pro Liter nach Westeuropa weiterverkauft. Alles in allem doch ein einträgliches Geschäft. Die Schließung der Milchwerke in Mittelsachsen war für die Landtagsabgeordnete Cornelia Müller vom Bündnis 90/Grüne ein Grund, die sächsische Staatsregierung aufzufordern, die Vergabe von Fördermitteln für die Verbesserung der Marktstruktur an die bayrische Firma Müller-Milch an die Bedingung zu knüpfen, den Produktionsstandort Mittelsachsen bis zur Inbetriebnahme der neuen Molkerei zu erhalten und die Massenentlassungen zurückzunehmen.
Immerhin hatten auch diese Betriebe erst kürzlich in neue Ausrüstungen investiert und der Absatz war gesichert. Diejenigen ehemaligen Beschäftigten, die eine Kündigungsschutzklage eingereicht haben, drunter Schwangere und Behinderte, werden nun von der Firma Müller-Milch eingeschüchtert. Sie würden die Abfindung laut Sozialplan nicht erhalten. Bleibt wohl nur, auf diese Weise zu resümieren: Konzentrieren wir uns auf das, was noch erhalten ist, kaufen wir das, was unser Nachbar produziert und ihm den Arbeitsplatz erhält.

OAZ 12.03.1992