Besichtigung
landwirtschaftlicher Unternehmungen
Zu der am Sonntag stattgefundenen Besichtigung hiesiger von der Landwirtschaft
errichteten Unternehmungen hatten sich eine große Anzahl Herren
von auswärts und hier eingefunden. Zum Teil aus weiter Ferne,
u. a. auch aus Holland und Ungarn, waren Interessenten er-schienen.
Als Vertreter unserer Königlichen Amtshauptmannschaft war Herr
Regierungs-amtmann Dr. Barnewitz anwesend. Am Bahnhof fand allgemeine
Begrüßung statt, der sich der Gang nach der Kartoffelflockenfabrik
anschloss. Zwei Herren der Tätosinwerke in Berlin (letztere
haben die ganze Anlage ausgeführt), gaben daselbst bei dem Rundgange
in lie-benswürdiger Weise die nötigen Erklärungen.
Die Besichtigung begann vom Verladeplatze aus. Auf praktische Weise
gelangen von hier aus die Kartoffeln in die Fabrik, indem selbige
in einen Wasserkanal nach dieser geleitet werden. Hierbei erhalten
sie gleichzeitig ihre erste Reinigung. Auf die Reinigung der Kartoffeln
wird in erster Linie großer Wert gelegt, und wer-den sie zu
diesem Zwecke in Schwemmbassins gebracht, in denen die anhaftenden
Erd- und Sandbestandteile durch das Wasser aufgeweicht werden, hierauf
werden die Kartoffeln in Schwemmringen der eigentlichen Kartoffelwäsche
zugeführt, in der durch Rührwerke unter stetiger Beigabe
von reinem Wasser alle Unreinigkeiten entfernt werden. Der Sand und
die Unreinigkeiten gehen mit dem Wasser in ein dreikammriges Klärbassin
zum Ausscheiden der festen Bestandteile, damit eine Verschlammung
des Abschlussgrabens vermieden wird. Das zur Fabrikation und zum
Maschinenbetrieb erforderliche Wasser wird aus einem auf dem Grundstück
erstellten Brunnen entnommen. Die in der Wäsche sehr sorgfältig
gereinig-ten Kartoffeln werden durch den Elevator hochgehoben, gehen über
eine automatische Wa-ge und fallen dann in einen hölzernen Kartoffelbehälter.
Die Wäsche arbeitet nur am Tage, während die Trocknerei
zirka 22 Stunden in Betrieb ist. Es muss somit am Tage das Kartof-felquantum
für die Nacht vorgewaschen und in dem großem Kartoffelbehälter
aufgespeichert werden. Es fasst deshalb der aufgestellte Behälter
zirka 400 Zentner Kartoffeln. Vor dem Auslassschieben des Kartoffelbehälters
sind etwas unterhalb die mit einer oberen Füllöff-nung
und einer unteren Entleerungsöffnung versehenen Dämpfer
aufgestellt. Das Dämpfen geschieht mit Niederdruckdampf und
gelangen die gedämpften Kartoffeln durch eine Trans-portschnecke
zu den Trockenapparaten. Über jedem Trockenapparat besitzt die
Schnecke einen Auslass, der durch einen Schieber geöffnet werden
kann. Die Trockenapparate Sys-tem „Tätosin“ bestehen
aus zwei mit Dampf von 5 Atm. Geheizten Walzen, welche in zwei Ständern
gelagert sind. Auf die walzen werden die Kartoffeln unter Mitwirkung
eines automa-tisch bestätigten Rührwerkes in einer Schicht
aufgetragen und die getrockneten Kartoffelflo-cken mittels scharfer
Messer heruntergeschabt. Die Flocken fallen in eine unterhalb der
Ap-parate liegende Kühlschnecke, welche zum Schutze gegen Feuchtigkeit
mit starkem und dicht abgedecktem Blechtrog versehen ist. Die Kühlschnecke
führt die Flocken einen Eleva-tor zu, welcher sie nach der auf
dem Flockenboden befindlichen Absackvorrichtung beför-dert.
Der bis jetzt als Flockenboden dienende Raum soll später zur
Aufnahme von zwei wei-teren Trockenapparaten verwendet werden; es
wird sodann ein größerer Flockenspeicher angebaut. Die
Anlage selbst ist überhaupt die erste im ganzen Königreich
Sachsen und so-wohl der technischen als auch praktischen Seite nach
im modernsten Stile eingerichtet. Hochbefriedigt von dem Gesehenen
lenkten die Teilnehmer ihre Schritte der Bezugs- und Absatzgenossenschaft
zu. Hier erregten namentlich die großen Lagerräume mit
den daselbst lose liegenden verschiedenen Getreidearten allgemeines
Interesse. Ohne Menschenhand wird mittelst verschiedener Maschinen,
von Elevatoren, sowohl auch auf Treibriemen gela-gert, das betr.
Getreide seinem Bestimmungsplatze zugeführt. Der ganze Maschinenbetrieb
wird von einem 8pferdigen Motor bewältigt. Doch auch daselbst
war die Zeit gemessen und schloss sich noch zum Schluss programmgemäß ein
Besuch der Dampfmolkerei an. Bei Eintritt in diese betrat man zunächst
den Raum, in welchem die Milch angenommen, sowie die fertigen Produkte
und Rückstände wieder verausgabt werden. Was die Fabrikation
selbst betrifft, so gelangt von hier aus die Milch zunächst
in den Zentrifugenraum. Drei Separatoren führen die Entrahmung
und Reinigung derselben aus. Von hier wird durch Rohrleitung die
Sahne nach einem besonderen Raum geleitet, woselbst diese zirka 24
Stunden aufbewahrt wird und teils durch Kühlung, teils durch
Erwärmung einen Gährungsprozeß durchmacht, um danach
in großen Fässern zu Butter verarbeitet zu werden. In
Kühlräumen wird nun das so gewonnene, fertige Produkt bis
zum Versandt aufbewahrt. Eine seit kurzem aufgestellte Eis- und Kühlmaschine
sorgt für die nötige Kühlung in diesen Räumen.
Durch Auslegen der Wände mit Fliesen machen diese einen freundlichen
und sauberen Eindruck. Doch nun zu-rück in den Raum, in welchem
die Sahne abgeleitet wurde, die hierselbst von der Sahne ge-schiedene
Magermilch wird zum Teil zwecks Abtötung von Bakterien erhitzt,
darauf wieder 2 – 3 Grad Celsius gekühlt und hierauf zum
Verkauf gebracht. Der andere Teil derselben wird zu Käse und
Quark verarbeitet. Hierzu sind wiederum eine Anzahl verschiedener
Hilfsmittel in gesonderten Räumen aufgestellt. Die gesamte Anlage
wird durch eine 24pferdige Dampf-maschine welche neben der Eisfabrikation
die Lichterzeugung mit bewerkstelligt, angetrie-ben. In dem im Erdgeschoss
neben dem Geschäftszimmer gelegene Laboratorium wird sämtliche
ein- und ausgehende Sahne auf ihren Fettgehalt, sowie ganz besonders
auf Wäs-serung untersucht. Die auswärtigen Teilnehmer der
Exkursion waren über die mustergültige Einrichtung dieser
drei Anlagen sehr befriedigt und gaben ihren Ansichten in recht anerken-nenden
Worten Ausdruck. Nach Besichtigung der Dampfmolkerei wurde bei den
Besuchern eine von Herrn Kupferschmiedemeister Gustav Pilz hier angefertigte
Selbsttränke mit Ent-kuppelungseinrichtung praktisch vorgeführt, über
deren Funktion sich die Herren gleichfalls sehr günstig geäußert
und mehrere Bestellungen in Aussicht gestellt haben. Hierauf folgte
ein gemeinschaftliches Mittagsmahl im Hirsch, bei welchem in verschiedenen
Toasten den hiesigen Herren, welche in bereitwilliger Weise die Führung übernommen,
sowie den Vor-steher der besichtigten Betriebe für ihre Mühewaltungen
gedankt wurde. – Über die zahlrei-che Beflaggung in unserer
Stadt haben sich die fremden Herren sehr gefreut und werden diese
auch hier die besten Eindrücke mit davon genommen haben.
Mügelner Anzeiger, 22. Juni 1909
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