Online-Chronik der Stadt Mügeln
 

Altmügelner Stoppelmarkt

Jubiläum 1993 – Einer der ältesten Jahrmärkte in Sachsen wird 510 Jahre alt

„Altmügeln, Dorf im Leipziger Kreise, im Kollegiatsstifte Wurzen und Amte Mügeln, ½ Stunde westlich von Mügeln und 2 Stunden südlich von Oschatz entfernt. Mit einer Kirche und 139 Einwohnern, welche 3 Hufen haben.

Dies Dorf ist bemerkenswert wegen seine Jahrmarktes. Denn es hält im Anfange des Septembers auf freiem Felde den so genannten Stoppelmarkt, welcher durch einen großen, auf Maria Geburt fallenden Ablaß entstand…

Ursprünglich hielt man ihn auf dem Kirchhofe, Bischof Johann der V. von Weisbach ab, verlegte ihn des Unfugs halber und weil es schicklicher war, im Jahre 1483 aufs freie Feld.

Die Buden stehen in einer fast eine Stunde langen Reihe und der Zulauf ist da außerordentlich…“

Soweit ein Auszug aus dem Staats-, Post- und Zeitungslexikon von Sachsen, verfasst von August Schumann im Jahre 1819.

Die Kirche in Altmügeln ist eine der ältesten in unserem Sachsenlande. Sie wurde vor etwa 1000 Jahren, als eine Weg-, Schutz- und Wehrkirche erbaut. Nachdem sie Kriegsnöten zum Opfer gefallen war, wurde sie auf den „alten geheiligten Grundmauern“ 1135 neu erbaut.

Die Altmügelner Kirche ist eine Marienkirche. In ihr wurde die Verehrung der Mutter Maria mit besonderem Eifer betrieben. Der Geburtstag dieser Schutzherrin fiel auf den 8. September. Diese drei Komponenten Kirchweihfest, Marienfeier und Ablasserteilung, wozu die Altmügelner Kirche berechtigt war, haben die Altmügelner Kirche zu einer bedeutenden Wallfahrtskirche werden lassen.

Wer hier in Altmügeln die entsprechenden Riten und Gebete absolvierte und die entsprechenden Gold- oder Silbermünzen im Gotteskasten erklingen ließ, erhielt einen vierzigtägigen Ablaß, d. h. eine „Befeiung von den durch Todsünde verwirkten Bußen und Fasten“.

Durch diesen Ablasshandel bekamen die herrschenden Kreise der katholischen Kirche große Mengen Geldes in ihre Hände. So ist es nur natürlich, dass sie alles unternahmen, um die Bedeutung dieses Ortes immer mehr zu vergrößern. „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.“ Aus diesem Grund nannte man den Jahrmarkt vor Jahrhunderten „Altmügelner Messe“ oder auch „Altmügelner Ablaß“. Dann nachdem der Messpriester die Beendigung des Messamtes ausgerufen hatte, begann das Treiben auf dem Markt.

Anfangs sollen Hunderte, später Tausende von Pilgern Stunden und Tage weiter hergekommen sein, um dem hohen Feste in Altmügelns gottesdienstlichem Leben beizuwohnen.

Diese Menschen zogen natürlich Händler an, welche die verschiedensten Waren feilboten, um ihre Geschäfte zu machen.

Die Wallfahrt bedeutete für viele Menschen das größte Ereignis im Jahre. Da das Dorf keine Gelegenheit bot, das damalige fromme häusliche Leben durch die Möglichkeit der Beschaffung von dazu nötigen heiligen Gegenständen zu fördern, so war man auf Altmügeln angewiesen. In Buden und an Ständen gab es mancherlei zu kaufen. Heiligenbilder, Kerzen aller Art, Kerzen welche der Papst geweiht hatte, Gefäße für das ewige Lämpchen, Rüböl, Dochte usw. usf. Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein reger Warenhandel.

Dis spielte sich alles auf dem Platze um die Kirche, innerhalb der Friedhofsmauern ab. Dreiste Händler drangen wohl gar bis in den Vorraum der Kirche ein. Rücksichtslose Verkäufer belegten die Gräber und ärgerten durch ihre Gebaren die Angehörigen der Verstorbenen.

Solchem Treiben machte der Bischof Johannes der V. von Weißenbach, gewiss auf berechtigte Beschwerde des Altmügelner Kaplans, ein Ende. Im Jahre 1483 wurde mit dem Müller des Dorfes, Jacob Moller, ein Vertrag abgeschlossen, nach welchem alle Verkaufsstände auf das Feld, welches sich an den Kirchhof anlehnte und dem Müller gehörte, verlegt wurden.

Das Diplom ist datiert „zu Mogelln Ao. 1483, am Freitage nach Egydi Abten“ und beinhaltete, dass der Müller „ein Stück Land von 2 Schfl. Aussaat, zum Marktplatze hergeben und dafür 10 Meißen. Groschen bekommen solle.“ In der ehemaligen Stiftskanzlei zu Wurzen ist das Original noch vorhanden. Dadurch wird es uns zu Gewissheit, dass der Altmügelner Stoppelmarkt weit vor dieser uns bekannten Erwähnung schon bestanden hat, also viel älter als diese 510 Jahre ist.

Durch die Maßnahme stand einer weiteren Ausbreitung des Marktes nichts mehr im Wege. Gebrauchsgegenstände, Bekleidungsstücke, Lebensmittel wurden feilgeboten und fanden starken Absatz. Ziegen und Böcke wurden in der so genannten Bockskammer, welche neben dem seitlichen Eingange der Kirche erbaut war, während des Messelesens untergebracht… Viele Besucher stellten die während des Jahres sicher ergebenden Wünsche bis zum Altmügelner Kirchweihfest, später Stoppelmarkt, zurück.

Dem Altmügelner Pfarrer entstanden durch Abhaltung des Marktes allerlei Unannehmlichkeiten. Die Visitatoren berichteten 1556, „dem Pfarrer würden durch das Jahrmarktsvolk die Zäune verwüstet und zertreten, Stroh und Futter aus der Scheune entwendet und in den Feldern, Hölzern, im Hofe und in der Behausung unzähliger anderer Schaden verursacht.“ – So gab es auch viele Klagen und es sind im Laufe der Jahrhunderte viele Urkunden über „Gerechtsame“ und über Streitigkeiten abgefasst worden.

Nach einem Vertrag von 1602 durften allein die Bäcker von Mügeln auf dem Jahrmarkt Brot und Semmeln feilhalten, mussten aber dafür jedes Jahr 21 Groschen entrichten und noch 21 Groschen dafür, dass die Siebenlehner Bäcker nicht auf den Markt gelassen wurden, „wie sie denn auch für diese Vergünstigung ebenfalls 2 Taler in´s Amt abführen mussten.“

Den Mügelner Fleischern war 1522 das Privileg erteilt worden, dass sie auf dem Altmügelner Markte die Garküche ganz allein besorgen durften, gegen Entrichtung von 21 Groschen an die Kirche und von 1 Taler jährlich an das Amt.

Das Tuchmacherhandwerk zu Leisnig musste jährlich 1 Schock, 3 Groschen Zins dafür bezahlen, dass man ihm „aus nachbarlicher Freundschaft“ besondere Vorteile gewährte und „besondere Stände vorbehielt.“
Ebenso war es mit dem Bier. Obwohl die Freiberger Brauer gern ihren Gerstensaft in Altmügeln verkaufen wollten, nutzten die Mügelner ihr Heimatrecht und die Freiberger kamen nicht auf den Markt.

Durch den Stoppelmarkt erwuchsen der Altmügelner Kirche ganz beachtliche Einnahmen. Sie vereinnahmte 1524 u. a.: Von der Weinbude 30 Groschen; an Zapfengeld von ausgeschenktem Bier, für das Viertel 2 Groschen, 3 Pfg.; von den Mügelner Schuhmachern 3 Groschen; von den Kuchenbäckern für den Wagen Gebäck 8 Groschen; von den Böttchern, Tischlern und Töpfern für jeden Wagen ihrer Waren 4 Groschen Zins.

Später entstanden wegen der Ausbreitung des Marktes allerlei Streitigkeiten. Auch die Umackerung des Marktfeldes gab Anlass zu Zwist zwischen dem Altmügelner Müller und den Kirchenvätern.

Wegen zu später Reife des Getreides musste der Stoppelmarkt 1740 um 14 Tage und zwar auf den 21. – 23. September verschoben werden. Wegen ansteckender Krankheiten konnte er 1607 und wegen der Pest 1680 nicht abgehalten werden. In den Kriegsjahren 1643 und 1644 wurde „wegen Unsicherheit durch umherziehende feindliche Roten“ die Abhaltung des Marktes untersagt.

Die „Pelzbude“, die Buden der Kürschner, blieben früher jahraus jahrein stehen und bildeten eine Gasse. In der Weihnachtsnacht 1698 wurden sie durch einen heftigen Sturm umgerissen und 1699 wieder errichtet.

Von 1820 ab wurden die Buden gegen ein jährliches Pachtgeld von 140 Talern verpachtet.

Wie umfangreich die Budenstadt in früheren Zeiten war, ist daraus ersichtlich, dass 1832 655 Buden und Stände aufgebaut waren. Davon allein für die Tuchmacher 132 und für die Schuhmachen 400 Stände und Buden.

Im Jahre 1844 betrug die Zahl der Stände und Buden sogar 780. Davon waren 57 Kunst- und Schenkbuden. Der Reinertrag aus den Standgeldern betrug in diesem Jahre 220 Taler, 20 Neugroschen und 5 Pfennige.

Wer alles auf dem Markt feilhielt, geht aus einer Verordnung de Stiftssuperintendentur Wurzen und des Justizamtes Mügeln vom 16. August 1833 hervor. Da werden Weiß- und Kuchenbäcker, Konditoren, Pfefferkuchenbäcker, Tischler, Böttcher, Kupferschmiede, Tuchmacher, Pelzhändler, Federhändler, Trödler, Krämer, Fleischer, Schuhmacher, Hutmacher, Gerber, Bürstenmacher und viele andere genannt.
Die Eröffnung des Jahrmarktes erfolgte stets in der ersten Septemberwoche, traditionell wie seit seiner Ersterwähnung vor Jahrhunderten. Mittwochs begann es mit dem traditionellen Vieh- und Pferdemarkt. Am Nachmittag gingen die Mügelner Zimmerer- und Tischlergesellen „Kiste aufmachen“, dabei ging es oft schon hoch her und in den Bierzelten war schon tüchtiger Betrieb.
Der Donnerstag und der Freitag waren die Haupttage auf dem Markt. Der erste Tag, der Donnerstag, war auf dem Dorf den „Herrschaften“ vorbehalten, am zweiten Tag ging das „Gesinde“. Der „Gesindetag“ war im „Mietkontrakt“, dem Arbeitsvertrag der Landarbeiter, inbegriffen. Denn an diesem Tag musste die „Herrschaft“ das Vieh selbst besorgen. Außerdem wurde dem Gesinde das „Genannte“ als Jahrmarktsgeschenk in Geld oder Sachdingen ausgezahlt. Die Landbevölkerung versorgte sich auf dem Jahrmarkt für das kommende Jahr mit Arbeitskleidung, Wäsche, Schuhwerk usw. Auf dem Stoppelmarkt kaufte man billiger ein. Man kaufte auch meist bei den gleichen Händlern, welche schon über Jahre bekannt waren.
Die Mügelner Geschäftsleute annoncierten im „Mügelner Tageblatt“ „Preissenkungen“ und „Vorzugspreise“ um dieser Konkurrenz zu begegnen. Denn auf dem Altmügelner Stoppelmarkt wurde schon für das Weihnachtsfest eingekauft. Hier auf dem Markt und im Bündel waren die Schürzen und Bänder als Geschenke für das Gesinde weitaus billiger als im Laden.

In den meisten Mügelner Betrieben und auch in den Betrieben der näheren Umgebung wurde mittags Feierabend gemacht. Das war ungeschriebenes Gesetz. Diese Tradition wurde auch noch nach dem Krieg bis in die 50er Jahre beibehalten. Kein Meister oder Polier konnte die Leute halten, mittags ging es auf den Stoppelmarkt. Dort traf man sich mit Verwandten und Bekannten, welche man das ganze Jahr nicht gesehen hatte.

Tagelang vorher hatten die Mügelner Hausfrauen geputzt und gescheuert, denn zum Stoppelmarkt kamen Bekannte und Verwandte aus nah und fern. Man stellte jedes Jahr „die Räder“ ein und dabei wurde eine „Stärkung“ eingenommen. Vor Jahren wurde aus diesem Grund und ja nach Größe des Bekannten- und Verwandtenkreises auch noch tüchtig gebacken.

Da der Arbeitsausfall in den Betrieben missliebig war und man von höherer Stelle kein absolutes Verbot aussprechen wollte, wurde zum ersten Mal in der vielhundertjährigen Geschichte der Stoppelmarkt offiziell verlegt. Ab 1960 wurde der Markt dann sonnabends und sonntags abgehalten.

Wenn auch die Anzahl der Buden und Schaugeschäfte immer weiter zurückging, so hatte doch di Anziehungskraft des Marktes nicht nachgelassen.

Der Altmügelner Stoppelmarkt ist ein Vermächtnis aus der Zeit, da das katholische Bekenntnis das Herrschende und Beherrschende war. Er ist ein Beleg dafür, wie auch in unserer Gegend das gesamte Volksleben durch das religiöse Leben beeinflusst wurde, wie Handel und Wandel durch kirchliche Veranstaltungen wesentlich befruchtet wurden. So hatte sich nun der Altmügelner Stoppelmarkt im Laufe der Zeit aus einem kirchlichen Festtag in ein traditionsreiches Volksfest gewandelt. War der Stoppelmarkt in früheren Zeiten hauptsächlich ein Warenmarkt, so überwogen in letzter Zeit die Schau- und Belustigungsgeschäfte.

Mussten zu Großvaters Zeiten zu Fuß oder Rad Halbtagsmärsche zurückgelegt werden, so brachten in den letzten Jahren die modernen Verkehrsmittel die Besucher heran. Stoppelmarkt – der Name wirkte seit Generationen wie ein Magnet.

Fiel doch die Zeit des Stoppelmarktes in unserer landwirtschaftlichen Gegend in eine kleine Arbeitspause. Die Getreideernte war zum größten Teil eingebracht und die Ernte der Kartoffeln und Hackfrüchte stand bevor. Dazu kam, dass dieser Markt weit und breit der einzige war, welcher die Zeit nach dem 2. Weltkrieg überstanden hatte.

Der Stoppelmarkt war für die schwerarbeitende Bevölkerung unserer landwirtschaftlichen Gegend fast die einzige Zerstreuung und Belustigung dieser Art. Dies und die tief im Volk verwurzelte Tradition erklärten den nicht nachlassenden Zulauf den dieser Jahrmarkt jedes Jahr hatte.

Am Dienstag, 23.10.1990, hatten Mitglieder des Heimatvereines Mügeln und Mitglieder des Kirchenvorstandes Altmügeln zu einer ersten Beratung über das Wiederaufleben des Altmügelner Stoppelmarktes eingeladen. Gemeinsam wollen wir diesen alten traditionellen Markt wieder zu Leben erwecken. Zu dieser schweren Arbeit sind alle Mügelner zur Hilfe aufgerufen. Wir appellieren vor allem an unsere Handwerker und Betriebe.

Unser Stoppelmarkt hat alle Stürme der vergangenen Jahrhunderte, er hat Pest und Kriege überstanden. Wollen wir gemeinsam alles unternehmen, dass dieses schöne Volksfest auch in Zukunft, weiterhin und wieder, Bestandteil unseres kulturellen Lebens wird.

Weit über 500 Jahre ist dieser Markt alt. Aber auf Grund der Verfügung des Bischofs Johannes von Weißenbach wollen wir 1993 das 510jährige Jubiläum der ersten bekannten urkundlichen Erwähnung eines der ältesten Jahrmärkte unseres schönen Sachsenlandes begehen.
Günter Thiele