Schweres
Eisenbahnunglück zwischen Schrebitz und Töllschütz
18.11.1919 - Als die Passagiere des am Dienstag Mittag 11.57 Uhr Mügeln
verlassenden Personenzug, der 1.10 Uhr in Döbeln eintreffen sollte,
und die auf den Zwischenstationen Hinzugestiegenen meist in froher
Stimmung ihrem Reiseziel zustrebten, konnten sie nicht ahnen, dass
es eine Unglücksfahrt war, wie sie die Kleinbahnen unserer Strecken
noch nicht gesehen haben und deren Wiederholung Gott für alle
Zeiten verhüten möge. Der Personenzug 5750 war eben auf dem
Bahnhof Töllschütz eingetroffen und zum Halten gekommen,
als der mit ihm fahrplanmäßig dort kreuzende Güterzug
10889, der infolge des Schneetreibens nicht, wie vorgeschrieben, vor
der Einfahrtsweiche zum Halten gebracht werden konnte, auf ihn auffuhr.
Dadurch ist der Zug auf die anschließende Fallstrecke gekommen,
und da das lokomotivpersonal abgesprungen war, führerlos die Fallstrecke
hinabgerollt. Infolge der erreichten größeren Geschwindigkeit
ist er dann in einer scharfen Kurve, in der zum Unglück eine größere
Brücke in ca. 8 m Höhe liegt, abgestürzt, wobei die
Wagen des Zuges zertrümmert wurden. Ein kleiner Teil davon fiel
auf den Bahndamm links von Schrebitz, während der Weg unter der
Brücke nach Kiebitz die Hauptunglücksstelle bildet. Hier
liegt Wagen auf Wagen, zum Teil ineinander geschoben, während
die Lokomotive in der Luft hängt. Durch zwei Fahrgäste, die
sich am Gestänge während des Sturzes auf der Plattform festzuhalten
vermochten und dann einen Absprung wagten, welcher auch glückte,
wurde das Unglück sofort bekannt und jung und alt strömte
der Unglücksstelle zu. Von Mügeln trafen die Ärzte mit
einigen Sanitätsmannschaften, denen bald eine zweite Abteilung
mit den nötigen Tragbahren und einer Helferin folgten, kurz darauf
ein. Auch aus Schrebitz, Kiebitz u. s. w. kamen die Sanitätsmannschaften
und andere Hilfspersonen. Die Rettungsarbeiten wurden durch das Schneetreiben
und den darauf einsetzenden Regen sehr erschwert. Den Verletzten wurde
im Schweizerhaus des Gasch'schen Gutes und in der Klugeschen Villa
in Däbritz die erste Hilfe zuteil. Während die Leichtverletzten
meist sich selbst nach Hause begeben konnten, mussten die Schwerverletzten
zum Teil mit der Bahn, zum Teil mit Schlitten, nach dem Bezirkskrankenhaus
zu Mügeln gebracht werden. Einige davon wurden von ihren Angehörigen
aufgenommen. In hilfsbereiter Weise war zu diesem Zwecke eine größere
Anzahl Schlitten mit dem nötigen Stroh als Lagerstätte von
Stadt und Land zur Verfügung gestellt worden.
Nach einiger Zeit traf noch ein Arztwagen mit 3 Ärzten aus Döbeln
ein, ferner der Hilfszug aus Chemnitz mit Sanitätern und der Leipziger
Hilfszug mit 5 Ärzten und Sanitätern. Am Unglückstage
wurden 4 Tote festgestellt, und zwar Herr Rudolf Marthaus (Mitinhaber
der Weltfirma Ambrosius Marthaus) aus Oschatz, Herr Hilfszugschaffner
Willner aus Obersteina (Vater von 6 Kindern und dessen Ehefrau einer
weiteren Niederkunft entgegensieht), Fräulein Alma Wolf-Steuer
aus Crellenhain(jüngste Tochter der Frau Gasthofsbesitzerin Steuer,
die schon manches herbe Leid erfahren mußte) und ein Freihändler
Wagner aus Döbeln. Diese so jäh ums Leben Gekommenen wurden
in die Leichenhalle nach Schrebitz gebracht. Nachdem am Mittwoch die
hängende Lokomotive abgesteift worden war gelang es, einen Wagen
3. Klasse hervorzuziehen. Nunmehr dürfte es möglich sein,
bald auch die in den darunterliegenden 4. Klassenwagen noch sich befindenden
Toten zu bergen, über deren Zahl und Persönlichkeit nichts
Bestimmtes feststeht. Im Laufe der nächsten 3 Tage wurde noch
eine Leiche geborgen, so dass bis zum Schluss der Redaktion im Ganzen
5 Tote zu beklagen sind. Es ist ein Russe, dessen Namen man noch nicht
weiß. Die Vermissten, die gleich nach Bekannt werden des Unglücks
genannt wurden, haben sich, soweit verlautet, fast vollzählig
wieder gefunden.
Mügelner Anzeiger, 18. November 1919
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